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Digital findet Material
BIMstocks – ein materieller Gebäudekataster für die Stadt Wien

Am 11. Juli 2022 fand ein Kurzworkshop zum Thema „Materieller Gebäudekataster“ mit Schwerpunkt „Wohnbauten in Wien“ statt, veranstaltet von Digital Findet Stadt und Univ. Prof Iva Kovacic. In diesem Workshop an der TU Wien wurden die Ergebnisse des Forschungsprojekts BIMstocks präsentiert und diskutiert.

ForschungKreislauffähigkeit

BIMstocks bedeutet „BIM“, die zentrale Digitalisierungstechnologie der Baubranche, und „Stocks“ im Sinn von Bestand, Gebäudebestand. Das Forschungsprojekt unter der Leitung der TU Wien hat sich zum Ziel gesetzt, den (Wohn)Gebäudebestand in Wien mit seinen materiellen Ressourcen und Recyclingpotenzialen auf einer digitalen Plattform abzubilden.

Digitale Erfassung der geometrischen und Material-Daten

Zehn Wiener Gebäude aus verschiedenen Bauepochen wurden kurz vor ihrem Abbruch mittels Laserscan aufgenommen und daraus BIM-Modelle generiert. [1] Bei der Materialbestimmung kann Ground Penetrating Radar (GPR) oder Georadar Kernbohrungen teilweise ersetzen. Ingrid Schlögel und Alois Hinterleitner von der ZAMG demonstrierten, wie bei den Messungen vorgegangen wurde. Generell ist im Radargramm der Schichtaufbau von Baukonstruktionen visuell gut ablesbar. Je komplexer und inhomogener der Aufbau, umso schwieriger wird die Interpretation. Die dafür trainierte künstliche Intelligenz [2] erreichte bei den BIMstocks-Use Cases eine ganz gute Genauigkeit und relativ geringe Fehlerquote.

Untersuchung und Beurteilung der Baumaterialien

Für die Schad- und Störstofferkundung zeichnet der Projektpartner RM Umweltkonsulenten verantwortlich, das IBO für die Bewertung der Kreislauffähigkeit. Hierzu wurde die Bewertungsmethodik aus einem parallel laufenden Forschungsprojekt zum BNB Kriteriensteckbrief 4.1.4, dessen Fokus auf der End of Life Beurteilung von heute neu errichteten Gebäuden liegt, auf Bestandsanalysen erweitert und ein Klassifizierungssystem für Baustoffe aus den verschiedenen Baualtersklassen geschaffen. Die Bewertung auf Gebäudeebene berücksichtigt die Rückbaubarkeit von Konstruktionen ebenso wie Stör- und Schadstoffe, d.h. kritische Stoffkombinationen, die die Verwertbarkeit wesentlich beeinträchtigen. Baumaterialien, die per se schadstoffkontaminiert sind oder als gefährliche Abfälle gelten, werden in BIMstocks detailliert erfasst und in Gefahrenstoff-Klassen E, F bzw. G eingestuft (siehe Abbildung 1).

Hochrechnung auf Stadtebene: GIS und Visualisierung

Peter Ferschin (TU Wien, Institut für Architekturwissenschaften, Digitale Architektur und Raumplanung) zeigte die im Projekt untersuchten Use Cases innerhalb des 3D-Modells der Stadt Wien. In einer eigens programmierten Anwendung lässt sich die materielle Zusammensetzung der Gebäude darstellen (siehe Abbildung 2). Dazu wird das aus dem GIS-Modell abgeschätzte Bruttovolumen mit den in den Testgebäuden vorgefundenen Materialintensitäten für bestimmte Baustoffe multipliziert.

Natürlich handelt es sich dabei um Abschätzungen. Die auftretenden Unsicherheiten hat Oliver Cencic vom Institut für Wassergüte und Ressourcenmanagement der TU Wien genauer betrachtet – und kommt zum Schluss, dass sich die Fehler in einem vertretbaren Rahmen bewegen, aber die Genauigkeit der Abschätzung des gesamten Urban Mining-Potenzials (nur) mit der Erfassung weiterer Use Cases verbessert werden könnte.

Der Nutzen einer digitalen Urban Mining-Plattform

Gemeinsam mit den Gästen, darunter Vertreter*innen von drei Magistratsabteilungen der Stadt Wien, wurde diskutiert, ob und welchen Mehrwert ein digitaler Materialkataster mit sich bringt und welche Potenziale und Herausforderungen mit der vorgeschlagenen Vorgangsweise verbunden sind.

Die wichtigste Frage: Welche Anwendungsfälle gibt es für den digitalen Materialkataster? Der Aufwand für die Datenerhebung muss gerechtfertigt sein; werden neue Vorschriften für Bauherren geschaffen, braucht es eine entsprechende Rechtsgrundlage. Wer trägt die

Kosten der Datenerhebung, wer sorgt für die Aktualisierung?

Potenzial für Anwendungen wird durchaus gesehen: Ein digitaler Materialkataster könnte z.B. die Logistikprozesse für Recycling-Baumaterialien und Re-Use-fähige Bauteile unterstützen. Dazu braucht es zusätzlich zeitliche Informationen oder Prognosen, wann die Materialien nutzbar werden – die Plattform sollte in enger Kooperation mit der Wirtschaft entwickelt werden.

BIMstocks hat mit dem Fokus auf Wohngebäude einen Anfang gesetzt. Weitere Nutzungstypen und Baualtersklassen müssten erfasst und untersucht werden. So kann ein lebendes System entstehen, das immer genauer wird. Denn, so Helmut Rechberger (TU Wien, Forschungsbereich Abfallwirtschaft und Ressourcenmanagement): „Ohne Datengrundlage kann man keine Kreislaufwirtschaft aufbauen. Beim linearen System muss man hingegen nichts wissen.“


[1] Verantwortlich: TU Wien, Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement, Integrale Bauplanung und Industriebau
[2] Verantwortlich: TU Wien, Institut für Visual Computing & Human‐Centered Technology


»Stadt der Zukunft« ist ein Forschungs- und Technologieprogramm des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Es wird im Auftrag des BMK von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) gemeinsam mit der Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft mbH (AWS) und der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT) abgewickelt.

Projektteam

TU Wien, Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement, Integrale Bauplanung und Industriebau (Projektleitung)
TU Wien, Institut für Wassergüte und Ressourcenmanagement, Fak. für Bauingenieurwesen
TU Wien, Institut für Visual Computing & Human‐Centered Technology, Fak. für Informatik
TU Wien, Institut für Architekturwissenschaften, Digitale Architektur und Raumplanung, Fak. für Architektur und Raumplanung
ZAMG – Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik
IBO - Österreichisches Institut für Bauen und Ökologie GmbH
RM Umweltkonsulenten ZT GmbH

Forschungszeitraum

Juli 2022 –

Fördergeber

Bundesministerium für Klimaschutz, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK)

Abb. 1: EoL Matrix BNB Bewertung
Abb. 2: Urban Mining Platform, Quelle: Peter Ferschin, Ingrid Erb, Digitale Architektur und Raumplanung, TU Wien