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Stellen wir uns vor,

... es gäbe einen Baustoff, der beinahe überall verfügbar ist und dadurch keine langen Transportwege erfordert. Der, um ihn anzuwenden, ohne großen Energieeinsatz aufbereitet wird. Ein Baustoff, der nicht stabilisiert oder chemisch modifiziert werden muss, sodass er jederzeit wiederverwendet werden kann. Der sich mit vielen anderen Materialien kombinieren lässt und so die positiven Eigenschaften jeden Materials optimal genutzt werden können. Der so unbedenklich ist, dass er Kindern sorglos anvertraut werden kann und sogar in der Medizin Anwendung findet. Und dessen Eigenschaften positiv zum Raumklima beitragen. Ein derartiger Baustoff würde viele unserer Probleme, mit denen wir zurzeit im Bausektor konfrontiert sind, lösen.

ForschungMaterialökologie

Die gute Nachricht: einen solchen Baustoff gibt es – LEHM. Die schlechte: Sein Einsatz hält sich in Grenzen.

Dies mag an mangelnder Kenntnis darüber liegen, aber auch am schlechten Image, das dem Material vorauseilt: Lehm sei unbeständig. Wir wollen robuste Materialien, die solange wie möglich bestehen und so wenig wie möglich gewartet werden müssen. Doch gerade dieser vermeintliche Nachteil der Unbeständigkeit ist es, der in einer Phase aufkeimenden Bewusstseins für Kreislaufwirtschaft zum Vorteil wird.

Rechtliche Vorgaben und Initiativen wie der Green Deal der EU mit den Nachhaltigkeitszielen (https://unstats.un.org/sdgs), das neue Europäische Bauhaus (https://europa.eu/new-european-bauhaus/index_de), EPDs (http://www.bau-epd.at) und Zertifizierungssysteme heben die Dringlichkeit der Anwendung ökologischer, regionaler und gesunder Bauweisen und –materialien zwar hervor und bilden den Rahmen für eine nachhaltige Baulandschaft. Am Ende ist es jedoch eine bottom-up-Frage, entscheiden doch Bauleute und Architekturschaffende letztendlich selbst, welches Material bei den jeweiligen Bauprojekten zur Anwendung kommt. Um ihnen Entscheidungsgrundlagen in die Hand zu geben, sind Forschung und Entwicklung im Bereich nachhaltiger Baustoffe gefragt.

Clay to stay

Um dem Material Lehm den Boden zu bereiten, wird das IBO gemeinsam mit den Projektpartner*innen KMFA, BTI und AEE INTEC sowie dem Architekten Andreas Breuss und der BOKU (Institut für Angewandte Geologie) in den kommenden zwei Jahren mit unterschiedlichen Ansätzen zum Lehmbau forschen. Die Untersuchungen setzen sich aus einem praktischen und einem theoretischen Teil zusammen und betreffen sowohl die Anwendung von Ortlehm (also am Ort seiner Verwendung vorgefundenen Lehm) als auch von industriell hergestellten Lehmprodukten.

Eine der Fragestellungen, die im Rahmen des Projektes ‚Clay to stay‘ beantwortet werden soll, ist, inwieweit Lehm Schadstoffe aus der Luft absorbieren kann. Dafür werden Versuche mit kontrollierter Einbringung unterschiedlicher Substanzen (VOC, CO2) in zwei baugleiche Prüfräume der AEE INTEC mit unterschiedlicher Ausstattung (Lehmplatten vs. Gipsplatten) durchgeführt. Ebenso sollen anhand von Untersuchungen valide Aussagen zum Zusammenhang zwischen Tonmineralogie (BOKU), an der Lehm-Entnahmestelle festgestellten Lehmeigenschaften und Analyseergebnissen im Prüflabor des BTI zu Festigkeit und weiteren bauphysikalischen Eigenschaften getroffen werden. Ökologische Materialvergleiche mit Berechnungen von Ökokennzahlen, Simulationsberechnungen zur Beurteilung der Feuchteaufnahmefähigkeit von Lehmbaustoffen und Auswertungen bereits durchgeführter Raumluftuntersuchungen in Objekten mit und ohne Lehmputz werden ebenfalls durchgeführt (IBO).

Ein Plädoyer für den Lehm

Je einfacher wir uns es jetzt machen, desto schwieriger und komplexer wird es für die nachfolgenden Generationen. Bereits im Entwurfsprozess wird entschieden, in welchem Ausmaß Abfall am Lebenszyklusende eines Gebäudes anfällt. Wie allen Materialien sind dem Lehm Grenzen gesetzt, nicht für jede Bauaufgabe ist er geeignet. Es lassen sich jedoch überraschend viele Anwendungen finden, in welchen Lehm in der Beurteilung von gesundheitlichen Auswirkungen, CO2-Emissionen bei Gewinnung, Produktion und Transport sowie Rückbaubarkeit weitaus besser abschneidet als andere Materialien und diese durchaus ersetzen kann. Seine lokale Verfügbarkeit und uneingeschränkte Wiederverwendbarkeit unterscheidet den Baustoff von vielen anderen, derzeit aufgrund der Rohstoffengpässe auf dem Weltmarkt schwierig oder teuer zu erstehenden Baumaterialien und fördert im selben Atemzug die regionale Wertschöpfung.

Momentan dominiert ein Thema, das einen großen Teil der Erdbevölkerung mobilisiert, in unterschiedlichem Grad erregt, zumindest aber beschäftigt. Es ist Gesprächsthema im Lift, an der Kassa und bei online-meetings. Wär schön, wenn es in Zukunft nicht nur ein Virus schafft, uns im Gespräch zusammenzubringen, sondern auch das Anliegen, den nächsten Generationen eine gestaltbare Erde zu hinterlassen.

Forschungszeitraum

Jänner 2022 –

Kontakt

Kapelle der Versöhnung, Berlin
© Juan Muñoz
Lehmaufbereitung mit dem Handrührgerät
© Ute Muñoz-Czerny
© Ute Muñoz-Czerny