Zum Seiteninhalt springen

Wiener Tropennächte
Hitzeschutzmaßnahmen für den privaten Wohnbereich

Wien wurde 2019, zum wiederholten Mal, als die Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität eingestuft. Dies verdankt Wien seiner ausgezeichneten Infrastruktur, einem gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetz, der Wasser- und Gesundheitsversorgung sowie der breiten Kultur- und Bildungsangebote. Außerdem punktet Wien mit einem hervorragenden Angebot an hochwertigem Wohnraum. (Vgl. [1]) Aber trotz höchster Lebensqualität stellt Hitze für die Menschen in der Stadt eine besondere Herausforderung dar. Der Beitrag beschreibt die Besonderheiten des Stadtklimas, zeigt die künftige Klimaentwicklung für Wien auf und gibt Empfehlungen zum Schutz vor sommerlicher Überwärmung Ihrer Wohnräume.

BauphysikBehaglichkeit

Stadtklima

Das Stadtklima stellt ein modifiziertes Klima dar, welches durch die Wechselwirkung von Bebauung und deren Auswirkungen (z.B. Abwärme und Emission von luftverunreinigenden Stoffen) entsteht. (Vgl. [2]) Das Stadtklima wird bestimmt durch

  • Wärmeleitfähigkeit und spezifische Wärmekapazität der großen Mengen Beton, Asphalt und Stein
  • Strahlungsverhältnisse infolge der Oberflächengeometrie
  • Luftverunreinigungen
  • vermindertes Feuchteangebot
  • anthropogene Wärmeproduktion
  • aerodynamische Eigenschaften der Stadtoberfläche

Das Zusammenwirken dieser Faktoren führt zu einer Vielzahl meteorologischer Stadtphänomene. Der bekannteste Effekt ist die Temperaturerhöhung gegenüber dem Umland, die „städtische Wärmeinsel“.

Stadtatmosphäre

Die Stadtatmosphäre unterscheidet sich aufgrund ihrer größeren Rauigkeit, der überwiegend trockenen Oberflächen sowie der emittierten Luftschadstoffe und Freisetzung von Abwärme grundlegend von der Freilandatmosphäre und wird deshalb in folgende Bereiche unterteilt (vgl. [3]):

  1. die vom Boden bis zum mittleren Dachniveau reichende Stadthindernisschicht (urban canopy layer UCL), deren meteorologische Verhältnisse eine Mischung unterschiedlicher Mikroklimata darstellt und durch die Wechselwirkungen mit der unmittelbaren Umgebung (Gebäude, Straßen, Plätze, Parks, Wasserflächen) bestimmt werden (vgl. [4].)
  2. die Stadtgrenzschicht (urban boundary layer UBL), welche ein mikro- bis mesoskaliertes Phänomen darstellt, dessen Eigenschaften durch die Stadtoberfläche bestimmt sind (vgl. [3]).

Strahlungs- und Energiehaushalt

Sonnenstand und Trübung der Atmosphäre sind für die Strahlungsbilanz entscheidend. Das Verhältnis zwischen reflektierter und einfallender Sonnenstrahlung, welches u.a. von Farbgebung, Material der Oberflächen und Exposition der einfallenden Strahlung abhängig ist, wird Albedo genannt. Asphalt hat beispielsweise eine Albedo von 10 – 20 %, reflektiert nur sehr wenig Solarstrahlung und speichert sehr viel Wärme.
Die städtische Energiebilanz wird durch hohe Versiegelungsgrade und Vegetationsarmut beeinflusst. Durch den raschen Regenwasserabfluss verdunstet nur wenig. Die Evapotranspiration und damit die latente Wärme sind in der Stadt stark reduziert und erhöhen damit den fühlbaren Wärmestrom. Die Vegetationsarmut in der Stadt führt dazu, dass für Wasserverdunstung und Transpiration etwa ein Drittel weniger Energie verbraucht wird als im Umfeld. (Vgl. [5])
Straßenbeläge und verdichteter Untergrund sind für den Bodenwärmestrom entscheidend. Wärmeleitfähigkeit wie auch spezifische Wärmekapazität ist bei städtischen Materialien in der Regel hoch. Sie können deshalb gegenüber Wiese oder Ackererde etwa drei Mal mehr Energie aufnehmen.
Ursachen für die Ausbildung der städtischen Wärmeinsel sind insbesondere eine erhöhte Absorption kurzwelliger Strahlung, die verringerte langwellige Ausstrahlung, die veränderten Beträge latenter und sensibler Wärmeströme sowie die anthropogene Wärmeabgabe. Die Überwärmung wird durch die Dunstglocke, die Wärme- und Abgasemissionen sowie eine von der Art der Luftverunreinigung abhängige Absorption der kurzwelligen Strahlung bestimmt. (Vgl. [3])

Städtische Wärmeinsel

Nicht nur zwischen Stadt und Land sind deutliche klimatische Unterschiede zu erkennen, auch zwischen Innen- und Außenbezirken. Bei der Messstation Wien Innere Stadt liegt das absolute Maximum der Lufttemperatur (Abbildung 1) mit 38,4 °C um 1,4 °C, das mittlere Maximum (Abbildung 2) um 0,5 °C höher als bei der Messstation Hohe Warte im 19. Bezirk. Der Unterschied beim mittleren Minimum (Abbildung 3) beträgt 2,1 °C. Das bedeutet, dass nicht nur tagsüber sondern insbesondere abends eine Übertemperatur der Innenbezirke gegenüber den Außenbezirken zu beobachten ist.

Hitzestress

Hohe Temperaturen führen bei Menschen zu einer Stresssituation und stellen bei körperlicher Aktivität, aber auch bei Ruhe, eine Belastung für Herz und Kreislauf dar. Hitze führt unter anderem zu Konzentrationsstörungen, Schlaflosigkeit, Aggressionen, Depressionen, Herzinfarkt und Herzversagen.
Kleinkinder, Kranke und ältere Menschen mit eingeschränkter Akklimatisierungskapazität sind besonders gefährdet. Die Anfälligkeit für städtische Hitze in den Wiener Wählerbezirken zeigt Abbildung 4. Sie wird anhand der Temperaturbelastung und der Dichte der Risikogruppen berechnet. Im Tagesverlauf besonders kritisch ist grundsätzlich der Spätnachmittag, wenn die Temperatur noch hoch ist und der Wind bereits abflaut. Aber auch bis in die Nacht andauernde hohe Temperaturen durch die aufgeheizten Baumassen stellen eine große Gefahr dar. Bei einer nächtlichen Temperatur von über 25 °C entfällt der für die Erholung wichtige Tiefschlaf. Das Aufeinanderfolgen heißer Nächte stellt damit ein besonders hohes Hitzerisiko dar. Neben der Analyse von Hitze- und Hitzewelletagen ist deshalb ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der Tropennächte zu legen, also auf jene Nächte, bei denen die Minimaltemperatur über 20 °C liegt. Die Beobachtungen zeigen einen deutlichen Trend hinsichtlich der Tropennächte (Abbildung 5). Während die jährliche Anzahl von Tagen mit Tropennächten vor 1990 noch bei maximal 5 lag steigt die Anzahl rapide. Das Maximum in Wien liegt derzeit bei 23 Tropennächten im Jahr 2015 an der Messstation Hohe Warte.

Wiener Stadtklima

Ausgehend von einer Analyse der Klimaindizes Sommer- und Hitzetage (Abbildung 6), Hitzewelletage (Abbildung 7) und Tropennächte (Abbildung 5) anhand der langjährigen Klimadaten für Wien – Hohe Warte [6] wird aus den vergangenen Jahren jenes Klimadatenset gewählt bei dem die Mittelwerte über die letzten 15 Jahre (Abbildung 8) für die genannten Klimaindizes am besten entsprechen. Mit 84 Sommertagen, 21 Hitzetagen, 6 Hitzewelletagen und 6 Tropennächten entsprechen die Klimadaten aus dem Jahr 2007 nahezu dem gleitenden Mittelwert über die letzten 15 Jahre. Durch Verschiebung der Temperaturkurve in 0,5 Grad Schritten ergeben sich damit die in Abbildung 10 gezeigten Szenarien für die künftigen Sommer in Wien. Diese Verschiebung der gesamten Temperaturkurve (alle Stundenwerte) ist insofern zulässig, da die Analyse der Klimadaten zeigt, dass nicht nur die Mittelwerte, sondern parallel dazu auch die Maximaltemperaturen, hier in Abbildung 9 für Juli gezeigt, steigen. Grundsätzlich ist zusätzlich zur Verschiebung des Mittelwerts eine Zunahme der Streuung zu erwarten, was zu einer weiteren Erhöhung der betrachteten Klimaindizes führt. Dies erfordert jedoch eine aufwändige Manipulation der Klimadaten, auf die in diesem Beitrag verzichtet werden kann.
 
Betrachtet man die Jahre 2015, 2017 und 2019 so zeigt sich, dass diese bei den Hitzetagen, den Tropennächten wie auch den Hitzewelletagen in etwa dem in Abbildung 10 gezeigten Szenario +1,5 °C entsprechen.

Während für Gesamtösterreich in der nahen Zukunft eine mittlere Zunahme von 11 Sommer- und 4,3 Hitzetagen prognostiziert wird gelten für Wien, bedingt durch die geografische Lage und die Städtische Wärmeinsel, weit kritischere Prognosen. Es ist für die kommenden Jahre mit einer Zunahme von 25 Sommer- und 12 Hitzetagen zu rechnen. Dies entspricht ungefähr dem Szenario „gleitender Mittelwert der letzten 15 Jahre plus 1,5 °C“ bzw. den Klimadaten aus dem Jahr 2019.

Erste Hilfe, die wirksamsten Maßnahmen!

Die beliebteste Maßnahme »viel und regelmäßig trinken«, ist zwar eine notwendige, aber nicht immer ausreichende Maßnahme, um negativen Konsequenzen von Hitzewellen vorzubeugen.
Ausflüge in den Park oder zu kühlen Orten sind nicht allen Menschen möglich. Hitze führt für daher für sehr viele Menschen zu einem Rückzug in die eigene Wohnung. Deshalb ist es besonders wichtig, den privaten Wohnbereich auf Hitzewellen vorzubereiten, um diese erfolgreich zu bewältigen.
Insbesondere in kleinen Räumen und Wohnungen besteht ein hohes Risiko für sommerliche Überwärmung, wie die Ergebnisse aus einer thermischen Gebäudesimulation für Wiener Gründerzeitgebäude in Abbildung 11 zeigen. Ein kleines Zimmer mit nur einem Fenster ohne Verschattung zeigt fast 900 Stunden mit einer empfundenen Temperatur über 27 °C, und das trotz Nachtlüftung (1). Größere Zimmer mit zwei Fenstern zeigen mit knapp über 600 Stunden ein günstigeres thermisches Verhalten im Sommer.

Eine gute Lösung um die Belastung durch sommerliche Überwärmung für den privaten Wohnbereich zu reduzieren stellt eine außen liegende Verschattung dar wie beispielsweise ein Raffstore (2) oder eine Markisolette (3) wodurch der Wärmeeintrag der Sonne über die Fenster deutlich reduziert wird.
Im Neubau wird in der Regel ein Nachweis zur Vermeidung sommerlicher Überwärmung geführt. Aber auch hier gibt es deutliche Unterschiede, so sollte darauf geachtet werden, dass die Räume der Wohnung mit „A+“ bzw. als „sehr gut sommertauglich“ eingestuft sind.
Sollen bestehende Wohnräume auch bei zukünftigen Klimaentwicklungen noch vor Hitze schützen führt eine thermische Sanierung in Kombination mit außenliegender Verschattung zu den besten Resultaten (4). Die Anzahl der Stunden über 27 °C wird damit um 80 % reduziert.

Abbildung 12 zeigt den Tagesverlauf der empfundenen Temperatur für das Zimmer mit zwei Fenstern an einem heißen Sommertag in einer Hitzeperiode. Die Wärmedämmung, egal ob außen an der Fassade oder raumseitig, also in der eigenen Wohnung, aufgebracht, führt zu einer deutlichen Reduktion der empfundenen Temperaturen im Raum.
Für die Auswahl und Bemessung der Dämmung gibt es umfangreiches Informations- und Beratungsangebot. Neben der Wirtschaftlichkeit kommt insbesondere im Wohnbereich, z.B. im Schlaf- oder Kinderzimmer der Materialwahl eine besondere Bedeutung zu. Während die Maßnahme im Sommer einen übermäßigen Wärmeeintrag in den Raum verhindert, reduziert die Wärmedämmung im Winter die Wärmeverluste und das Risiko von Schimmelbildung (z.B. hinter Betten und Möbeln, die direkt an ungedämmten Feuermauern stehen). Es lohnt sich also mehrfach über thermische Sanierung und Sonnenschutz nachzudenken.
Mit diesen Maßnahmen können Sie, auch ohne Klimaanlagen, den kommenden Wiener Tropennächten entspannt entgegensehen. 

Literatur

[1] www.wien.gv.at/politik/international/vergleich/mercerstudie.html (zuletzt abgerufen am 29.04.2020, 17:15)
[2] www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar html?lv2=102248&lv3=102558 (zuletzt abgerufen am 29.04.2020, 17:33)
[3] Hubfer, P. und W. Kuttler (Hrsg.): Witterung und Klima. B.G. Teubner, 1998, Stuttgart.
[4] Schirmer, et al: Handbuch zur Stadt- und Regionalplanung, 1988
[5] Fezer, F.: Das Klima der Städte, Perthes Geographie Kolleg, Justus Perthes Verlag Gotha. 1995
[6] www.zamg.ac.at/cms/de/klima/klimauebersichten/jahrbuch (zuletzt abgerufen am 29.04.2020, 17.56)
[7] Urban Heat Vulnerability Index (UHVI) Wien, www.data.gv.at/katalog/dataset/67d4a45f-2031-4dd5-a03d-92f64be7147c (zuletzt abgerufen am 29.04.2020, 17:58)

Kontakt

Abb. 1: Temperaturunterschied, absolutes Maximum der Lufttemperatur, Innen- und Außenbezirke, Wien, Juli 2019, Rohdaten [6], eigene Auswertung
Abb. 2: Temperaturunterschied, mittleres Maximum der Lufttemperatur, Innen- und Außenbezirke, Wien, Juli 2019, Rohdaten [6], eigene Auswertung
Abb. 3: Temperaturunterschied, mittleres Minimum der Lufttemperatur, Innen- und Außenbezirke, Wien, Juli 2019, Rohdaten [6], eigene Auswertung
Abb. 4: Anfälligkeit für städtische Hitze, Urban Heat Vulnerability Index, Rohdaten [7], eigene Darstellung
Abb. 5: Entwicklung Tropennächte, Wien, Rohdaten [6], eigene Auswertung
Abb. 6: Entwicklung Sommer- und Hitzetage, Wien, Rohdaten [6], eigene Auswertung
Abb. 7: Entwicklung Hitzewelletage, Wien, Rohdaten [6], eigene Auswertung
Abb. 8: Lufttemperatur gemittelt über 15 Jahre, Wien, Rohdaten [6], eigene Auswertung
Abb. 9: Entwicklung Sommer- und Hitzetage, Wien, Rohdaten [6], eigene Auswertung
Abb. 10: Klimaszenarien Wien - Sommertage, Hitzetage, Tropennächte und Hitzewelletage
Abb. 11: Maßnahmen zur Reduktion von Hitze in Wohnräumen, Ergebnisse thermische Gebäudesimulation
Abb. 12: Einfluss Dämmstandard auf empfundene Temperatur, Zimmer mit zwei Fenstern, Tagesgang der empfundenen Temperatur, heißer Sommertag