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Ökobau – der Umbau
Komplex muss nicht kompliziert sein – Wie man ein nachhaltiges Gebäude baut, ohne dass man ein Experte sein muss.

In den letzten Monaten wurden die Kriterien für ökologisches Bauen österreichweit aktualisiert und noch weiter harmonisiert. Die Kriterien „Öffentliche Beschaffung“ sind eine wichtige Hilfe für den ökologischen Einkauf, sei es von Gemeinden, dem Bund, dem großen Bauträger oder dem privaten Bauherren. Die Anforderungen und wie sie überprüft werden können sind in jahrelangen Projekten bis ins Detail ausgearbeitet worden. Damit können Bauschaffende, die mit Planung und Errichtung beschäftigt sind, vom KnowHow über Schadstoffe und dem Finden von passenden bis passablen Bauprodukten profitieren. Mit der heurigen Aktualisierung wurden Harmonisierungen mit dem Umweltzeichen und dem Nationalen Plan weiter vorangetrieben – und damit der Wirkungskreis deutlich vergrößert.

MaterialökologieBauproduktmanagement

1 Was sind die ÖkoBauKriterien

Mit einem Großteil der Produkte, die derzeit auf dem europäischen Markt angeboten werden, können die europäischen Ziele im Umwelt und Klimaschutz nicht erreicht werden. Daher hat die Europäische Kommission erstmalig im Jahr 2003 die Mitgliedstaaten in einer Richtlinie [1] aufgefordert, Aktionspläne für die Ökologisierung der öffentlichen Beschaffung zu erstellen.
Daraufhin entwickelten in Österreich die einzelnen Bundesländer für die Vergabe von Fördergeldern jeweils eigene Anforderungskataloge an Bauprodukte. Folglich konnte es vorkommen, dass Bauprodukte, die für die öffentliche Beschaffung in einem Bundesland zugelassen waren, für Baustellen der Wohnbauförderung eines anderen Bundeslandes nicht verwendet werden durften. Für Planer und Architekten, sowie für Handwerker und die Hersteller von Bauprodukten wurde die Situation immer unübersichtlicher.
Um dem entgegen zu wirken, beschlossen die Stadt Wien und das Land Vorarlberg vor mehr als zehn Jahren beispielhaft voran zu gehen, und sich auf einen gemeinsamen Kriterienkatalog zu einigen. Die Gesamtheit dieser Kriterien im Baubereich nennt man heute salopp „ÖkoBauKriterien“ (ÖBK). Sie sind inzwischen weitestgehend institutionalisiert. Am übersichtlichsten strukturiert und qualitätsgesichert verlinkt zu entsprechenden Bauprodukten sind sie einzusehen auf der baubook-Datenbank (www.baubook.info).

2 Was ist neu an den ÖkobauKriterien

Seit der Einführung der ÖBK hat sich im Bereich der Baustoffentwicklung viel getan. Einerseits hat sich die Zusammensetzung der Materialien geändert, andererseits sind heute Baustoffe Pflicht, die früher nicht erforderlich waren. So müssen Gebäude heute gedämmt errichtet werden und ein Mindestmaß an Luftdichtigkeit erfüllen.
Im vergangenen Jahr hat das IBO die ÖBK überarbeitet und dabei neue Erkenntnisse berücksichtigt. Hier die wichtigsten Neuerungen.

2.1    SVHC

Besonders besorgniserregende Stoffe (SVHC, substances of very high concern) sind Stoffe, die innerhalb Europas aus dem Verkehr gezogen werden sollen, da sie die Gesundheit von Mensch und Umwelt gefährden durch ihre Persistenz, Toxizität, Fähigkeit zur Akkumulation in Lebewesen oder sonstiger schädlicher Wirkung auf Mensch oder Umwelt (z.B.: Hormonwirksamkeit).
Bis solche Stoffe tatsächlich nicht mehr in Umlauf gebracht werden dürfen, können aber noch Jahre bis Jahrzehnte vergehen. Auch wenn sie legal noch einige Jahre eingesetzt werden dürfen, sollen sie in ökologischen Produkten auf keinen Fall mehr enthalten sein. Daher wurde ein neues Kriterium in die ÖBK aufgenommen, welches solche Stoffe verbietet.

2.2    Bisphenole

Seit 12.1.2017 ist Bisphenol A (BPA) wegen seiner reproduktionstoxischen und endokrinen (hormonähnlichen) Wirkung ein SVHC, und als solches von den Produkten der ÖBK ausgenommen. Seit 1.3.2018 BPA muss auch als reproduktionstoxisch gekennzeichnet werden. Ab 2020 ist die Beschichtung von Thermopapier mit BPA verboten.
In vielen Produkten wurde als Ersatz für BPA Bisphenol S (BPS) oder Bisphenol F (BPF) eingesetzt. Diese Moleküle sehen dem BPA strukturell sehr ähnlich und es überrascht nicht, dass neueste Studien ergeben, dass BPF etwas weniger, BPS dafür umso stärker endokrin wirksam sind.
Die ÖBK schließen künftig alle Bisphenole aus.

2.3    POP

Im Rahmen der Stockholmkonvention haben sich 181 Staaten der Welt darauf geeinigt, persistente organische Schadstoffe (POPs, persistent organic pollutants) weltweit zu verbieten. Dazu gehören Stoffe wie DDT [2], Lindan oder Toxaphen (Kampherchlor) und seit 2013 auch HBCD.
POP-Stoffe weltweit sind also weltweit generell verboten. Der Fall HBCD hat aber gezeigt, dass die EU dazu neigt, im Zweifelsfall wirtschaftliche Interessen vor die Interessen der Volksgesundheit und  des Umweltschutzes zu stellen. Um dem entgegen zu wirken, werden POP-Stoffe durch die ÖBK im Rahmen der öffentlichen Beschaffung nicht mehr zugelassen.

2.4    Toxische Stoffe

Mit Juni 2018  müssen alle registrierten Stoffe unter REACH betreffend ihrer toxikologischen und ökotoxikologischen Eigenschaften eingestuft sein.
Zwar sind für viele Stoffe die erforderlichen Dossiers noch nicht, nur teilweise oder sehr mangelhaft eingegangen, und viele Organisationen beklagen die mangelnde Qualität und damit die Aussagekraft der bereitgestellten Daten [3]. Dennoch bietet die Einstufung von Chemikalien nach der CLP-Verordnung eine einfache Möglichkeit generell unangenehme Stoffe auszuschließen.
Die ÖBK machen nun Gebrauch davon und schließen alle Stoffe aus, die mit folgenden H-Sätzen gekennzeichnet werden müssen. (H steht für hassard = Gefahr)

2.5    Halogenorganische Stoffe

Halogenorganische Stoffe sind Kohlenwasserstoffe, die in kovalenter Bindung mit einem Halogenatom (Fluor, Chlor, Brom, Jod oder Astatin) verbunden sind. Diese Verbindung kommt in der Natur nicht vor, weshalb es keine Lebewesen gibt, die sie aufbrechen könnte. In der Folge weiß der Organismus nicht, wohin damit und lagert die Stoffe irgendwo ab. Wegen ihrer Fettlöslichkeit ist das oft die Leber, Fettgewebe und – besonders besorgniserregend – die Isolierzellen von Nervengewebe (insbesondere Gehirn).
Alle Stoffe, die derzeit als POPs weltweit verboten sind, sind halogenierte Kohlenwasserstoffe.

 

CLP Einstufung Gefahrenhinweis

Akute Toxizität, Kategorie 1

H300 (oral)

 

H310 (dermal)

 

H330 (inhal.)

Akute Toxizität, Kategorie 2

H300 (oral)

 

H310 (dermal)

 

H330 (inhal.)

Akute Toxizität, Kategorie 3

H301 (oral)

 

H311 (dermal)

 

H331 (inhal.)


Kunststoffe, die aus halogenorganischen Stoffen bestehen, oder welche enthalten, sind daher besonders langlebig, weshalb sie auf keinen Fall in die Umwelt oder auf eine Deponie gelangen sollten. In der Entsorgung durch Verbrennung entstehen die besonders ätzenden Halogensäuren, die für eine frühzeitige Korrosion in den Verbrennungskesseln sorgen, weshalb sie bei Verbrennungsanlagenbetreibern besonders unbeliebt sind. Außerdem begünstigen sie die Bildung von Dioxinen und Furanen. Was aber noch viel beunruhigender ist, sie sind verantwortlich für die Bildung von halogenierten Dioxinen und Furanen, welche deutlich schädlicher sind als ihre nichthalogenierten Homologen, sie  werden auch in der Verbrennungsanlage nicht gemessen und somit völlig unkontrolliert in die Umwelt entlassen.
Die ÖBK verbieten zwar halogenierte Kohlenwasserstoffe schon längst, haben bisher allerdings Verunreinigungen zwischen 0,1 und 3 Gewichtsprozent toleriert. Um zu erfassen, ob es überhaupt Produkte gibt, die auf halogenierte Kohlenwasserstoffe verzichten, gibt es nun ein Zusatzkriterium, welches diese Stoffe vollständig verbietet (allerdings mit einem pragmatischen Grenzwert von 0,1 Prozent). Zusatzkriterien sind für die Teilnahme an einer öffentlichen Ausschreibung zwar nicht zwingend, wenn es allerdings Produkte gibt, welche diese Kriterien erfüllen, so sollten diese auch unbedingt zum Einsatz kommen.

 

3 ÖkoBauKriterien und das Österreichische Umweltzeichen

Mit der Vergabe des Österreichischen Umweltzeichens (ÖUZ) will das Ministerium Hersteller und deren Produkte sichtbar machen, die einen wesentlichen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Solche Produkte sind Leuchtturmprodukte, die anderen Herstellern/Produkten den Weg weisen sollen: Seht her, so ökologisch kann ein Produkt sein. Es geht auch ohne diesen oder jenen unangenehmen Inhaltsstoff.
Im Gegensatz dazu richten sich die ÖBK an die breite Masse der Bauprodukte und wollen die ökologische Qualität von Durchschnittsprodukten heben, in dem die schlimmsten Chemikalien in Gebäuden verhindert werden sollen.
Folgerichtig sollten Produkte mit einem Umweltzeichen auf jeden Fall für die öffentliche Beschaffung zugelassen sein. Dies ist derzeit noch nicht immer möglich. In den nächsten zwei Jahren werden die ÖBK und ÖUZ schrittweise überarbeitet und dahingehend harmonisiert, dass die Vorlage eines Umweltzeichens zur vollständigen Anrechnung der ÖBK genügt.

4 Wo die Grenzen der ÖkoBauKriterien sind

Bereits in der Planung wird der Grundstein dafür gelegt, welche Produkte später zum Einsatz kommen. Beispielsweise bestimmt die Entscheidung, ob ein Warmdach oder ein Kaltdach gebaut werden soll darüber, ob später mehr oder weniger ökologisch bedenkliche Folien eingebaut werden müssen.
Wie und wo und vor allem welches Holz eingebaut wird, wie sehr es Witterung ausgesetzt ist und wie sehr es selbst Witterung und Angriff von Insekten und Algen, Pilzen, Bakterien oder Flechten standhält, hängt extrem davon ab, wo und wie es eingebaut ist. Diese Entscheidungen finden im Planungsprozess, mitunter schon sehr früh statt. Später kann nur noch mit Holzschutzmitteln gegen eine Fehlplanung reagiert werden.
Eine sinnvolle Anwendung der ÖBK kann daher erst durch einen sorgfältig ausgearbeiteten Planungsleitfaden erfolgen. Dieser soll demnächst vom IBO in Angriff genommen werden.

5 Der Wirkungskreis der ÖkoBauKriterien wächst

ÖkoBauKriterien sind ein Muss für jede Baustelle aus öffentlichen Geldern der Stadt Wien und des Landes Vorarlberg.
Viele Architekten benutzen die ÖBK bereits standardmäßig, insbesondere die auf der Datenbank baubook hinterlegten Ausschreibungskriterien, mit denen bereits bei Vergabe sichergestellt werden kann, dass die Produkte ein zumutbares Mindestmaß an ökologischen Kriterien erfüllen. Auch immer mehr private Nutzer suchen nach ökologischen Bauprodukten.
Inzwischen hat auch der naBe, (nationale Beschaffung; bundesweites Programm zur öffentlichen Beschaffung), sich im Baubereich den ÖkoBauKriterien angeschlossen. In Kürze wird die umfassende Harmonisierung zwischen den Kriterien des naBe und ÖkoBauKriterien abgeschlossen sein.

6 Fazit

Obwohl Bauen immer billiger wird, denn die Standards sinken kontinuierlich – vor allem auf Materialebene, wird wohnen für den einzelnen (m/w) immer teurer. Die Sehnsucht nach leistbarem Wohnen in gesunder Umgebung steigt. Die Menschen sehen, dass konventionelle Pfade in eine Sackgasse führen. Umso wichtiger ist es, dass mit öffentlichen Geldern so gebaut wird, dass ein ökologischer Mindeststandard garantiert ist.
Investitionen in die Qualität von Gebäuden zahlen sich volkswirtschaftlich nachweislich aus. Auf der Plattform www.baubook.info/oea sind die ÖBK tagesakuell von der Ausschreibung bis zur Prüfung und Dokumentation detailreich und dennoch praktikabel umgesetzt, sodass eine einfache Anwendung ohne viel Hintergrundwissen oder zeitaufwändige Recherche möglich ist.

Quellen

[1]  Mitteilung der Kommission vom 18.06.2003 an den Rat und das Europäische Parlament zur Integrierten Produktpolitik, KOM(2003)302 endgültig

[2]  Pflanzenschutzmittel, bekannt geworden durch das Buch „Silent Spring“, dt. „Der stumme Frühling“
[3]  Martin Scheringer, ETH Zürich, Fragile Evidenz: Datenprobleme in der Risikobewertung für Chemikalien (http://www.tatup-journal.de/download /2013/tatup 133_sche13a.pdf).
BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung), BfR-Forschungsprojekt zeigt: Datengrundlage vieler REACH-Registrierungsdossiers muss vervollständigt werden. (http://www.bfr.bund.de/cm/343/bfr-forschungsprojekt-zeigt-datengrundlage-vieler-reach-registrierungsdossiers-muss-vervollstaendigt-werden.pdf)

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