Bereits im Herbst 2021 hatte die unabhängige Kriterienkommission des natureplus e.V. vorgeschlagen, speziell für biogene, also natürliche Emissionen aus Holz und Holzwerkstoffen die ansonsten sehr strengen Anforderungen des natureplus-Umweltzeichens etwas zu lockern. Hintergrund waren neue Forschungsergebnisse, die nahelegen, dass von diesen Stoffen in den üblichen Größenordnungen keine gesundheitlichen Gefahren ausgehen und die Hersteller von Holzwerkstoffen diese Emissionen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand vermeiden können. Dies hatte eine gutachterliche Stellungnahme des Bremer Umweltinstituts im Auftrag von natureplus ergeben, das diese neuen Studien ausgewertet hatte. Am 22. Januar fand nun eine öffentliche Anhörung dieser Änderungen statt, an der über 40 Vertreter*innen von Verbänden der Industrie und des Umwelt- und Verbraucherschutzes teilnahmen. Es lagen im Vorfeld 11 schriftliche Stellungnahmen von 9 Organisationen zu verschiedenen Aspekten des Regelwerks vor. Auch seitens der zuständigen Behörden wie UBA und DIBT waren Beobachter anwesend.
Auf dieser Anhörung zeichnete sich ab, dass der Vorstoß von natureplus von zwei Seiten kritisiert wurde: Einerseits mahnten Vertreter*innen etwa der baubiologischen Verbände vor einer zu großen Lockerung, da bei erhöhten Konzentrationen von flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) immer wieder auch gesundheitliche Beeinträchtigungen aufgetreten seien. Auch sei das Zusammenwirken verschiedener Verbindungen noch viel zu wenig untersucht. Andererseits forderten die Vertreter*innen etwa des Verbands der Holzindustrie und des Sägewerkverbandes eine völlige Aufgabe der unspezifischen TVOC-Summenwerte, weil diese nicht toxikologisch abgeleitet seien und daher keine Gesundheitsgefahr begründeten. Statt dessen solle natureplus in Prüfberichten lediglich die Messwerte - möglicherweise in Relation zu den toxikologisch relevanten LCI-Werten - dokumentieren, ohne darauf Anforderungen zu begründen. Dieser Argumentation wurde entgegnet, dass die TVOC-Summenwerte immerhin Orientierung geben im Zusammenhang mit einem vorsorgenden Gesundheitsschutz.
Ein weiterer Diskussionskomplex bezog sich auf Einzelwerte sowie die Prüfverfahren. So wurde verschiedentlich kritisiert, dass natureplus mit seiner Anforderung an eine Begrenzung der Essigsäure eine unzuverlässige Methode verwende und deshalb eine strengere Begrenzung als geplant einführen müsste. Diesem Einwand wurde entgegnet, dass ein alternatives Prüfverfahren bislang im Rahmen von Emissionsprüfungen allgemein nicht etabliert sei und zudem zu Mehrkosten führe, die nicht gerechtfertigt seien. Verschiedene andere Vorschläge aus der Anhörung, etwa bezüglich der Beladung der Materialien in der Prüfkammer, erwiesen sich als bereits bei natureplus etabliert (Beladung erfolgt nach Vorgaben DIN EN 16516 und, soweit vorliegend, der zutreffenden harmonisierten EN Produktnorm). Den Vorschlag, zur Vereinfachung von Rundungen die Anforderungen in Milligramm statt in Mikrogramm pro Kubikmeter zu formulieren, versprach die Kriterienkommission zu prüfen.
Insgesamt kann man sagen, dass sich bei dieser Anhörung die wesentlichen Protagonist*innen der verschiedenen Seiten zu einem offenen Dialog getroffen haben, während ansonsten dieses Thema aktuell in Deutschland eher vor Gericht von Sachverständigen erörtert wird. Alle Beteiligten brachten ihre Anerkennung zum Ausdruck, dass sich natureplus der komplexen Frage der biogenen Emissionen aus Holz und Holzwerkstoffen annimmt. Es wurde Verständnis geäußert, dass ein Label einer Umwelt- und Verbraucherschutz-Organisation in anderer Weise dem Vorsorgegedanken Rechnung tragen muss, als eine staatliche Zulassungsvorschrift dies kann. Und auch natureplus hat zugesagt, in Zukunft die Entwicklung weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse auf diesem Gebiet aufmerksam zu verfolgen und ein stärker auf die nachweislich gesundheitliche Schädlichkeit abstellendes Bewertungs-Konzept von Emissionen ernsthaft zu prüfen.
Ende Februar 2022 fand nun eine Sitzung der Kriterienkommission von natureplus statt, auf der die Erkenntnisse aus der Anhörung bewertet und die neue Version der Vergaberichtlinie 5010 verabschiedet wurden. In der Abstimmung der einzelnen Änderungsvorschläge entsprach man zunächst den bereits vorgeschlagenen neuen Anforderungen an die Emissionen von Holz und Holzwerkstoffen:
- Die Anforderung für TVOC wird von ≤ 300 µg/m³ auf ≤ 1000 µg/m³ angehoben
- Die Anforderung für Terpene wird von ≤ 200 µg/m³ auf ≤ 700 µg/m³ angehoben
- Die Anforderung für Aldehyde wird von ≤ 100 µg/m³ auf ≤ 200 µg/m³ angehoben
Bezüglich der Essigsäure wurden die bereits gültigen Bestimmungen bestätigt:
- Die Essigsäure wird für Holzprodukte aus dem TVOC herausgenommen
- Die Anforderung für Essigsäure wird auf ≤ 600 µg/m³ festgelegt
Mit Blick auf die Diskussionen bei der Anhörung werden folgende weitere Änderungen festgelegt:
- Die Anforderungen werden allgemein in mg/m³ angegeben und eine Rundungsregel hinter dem maßgeblichen Wert eingeführt (Beispiel: TVOC 1,0 mg/m³ oder Terpene 0,7 mg/m³)
- Die Anforderung für sensibilisierende Stoffe kann entfallen.
- Der Anwendungsbereich der Anforderungen an die Essigsäure wird mit den anderen Anforderungen an Emissionen aus Holzprodukten harmonisiert.
Die geänderte Version der RL5010 wird in Kürze auf www.natureplus.org veröffentlicht