Was ist HBCD?
HBCD, oder auch HBCDD, steht für Hexabromcyclododekan und gehört zur Gruppe der halogenierten Kohlenwasserstoffe. In den vergangenen Jahrzehnten wurde es in fast allen Kunststoffen als additives Flammschutzmittel eingesetzt, dabei heißt additiv, dass es nicht fix in eine Kunststoffmatrix eingebunden ist, sondern nur zugemischt wird. Es löst sich also aus der vorhandenen Kunststoffmatrix.
Wo finden wir HBCD?
Heute kann man HBCD in allen Umweltkompartimenten wie Wasser, Boden, Luft und Sedimenten nachweisen. Selbst in den entlegensten Gewässern wie der Polarregion oder in vulkanischen Seen, die nur über Regenwasser gespeist werden, ist es mittlerweile „heimisch“. Es wurde, neben ca. 50 anderen Stoffen nicht biologischer Herkunft, im Blut aller an der Studie des WWF 2004 teilnehmenden EU-Parlamentariern gefunden und ist Bestandteil der Muttermilch.
Menschen sind auf verschiedensten Wegen HBCD ausgesetzt: Die Hauptquelle für die Aufnahme ist Hausstaub, weshalb kleine Kinder besonders gefährdet sind. Ebenso wird HBCD aber auch über die Nahrung aufgenommen. Die vorliegenden Studien weisen dies für Fisch, Meeresfrüchte, Hühner und Eier nach.
Wie wirkt HBCD?
Die erste Studie, die uns vorliegt, konnte 1979 nachweisen, dass HBCD im Fischfleisch um das 19.000 fache der Konzentration des Umgebungswassers angereichert wird, in seiner Leber um das 24.000. Zahlreiche Wiederholungsstudien in den darauf folgenden Jahren belegten diese Ergebnisse immer wieder. Nach REACH, dem europäischen Chemikaliengesetz, gilt ein Stoff bereits als besonders besorgniserregend, wenn er eine 2.000 fache Anreicherung im Fisch aufweist.
Weitere Studien liegen vor, die belegen, dass HBCD sich in Leber und Schilddrüse einlagert und damit gerade im Entwicklungsstadium von Säugetieren auf das Zentralnervensystem einwirkt, mit anderen Worten auf die Entwicklung des Gehirns. Im Menschen ist nachgewiesen, dass es sowohl über die Gebärmutter an das ungeborene Kind als auch über die Muttermilch an den Säugling weitergegeben wird. Das ist deshalb unangenehm, weil HBCD nachteilig in den Stoffwechsel von Vitamin K eingreift. Vitamin K spielt eine zentrale Bedeutung in der Blutgerinnung. Forscher berichten, dass Vitamin K nicht über die Plazenta transportiert werden kann, und sie warnen eindringlich davor, Schwangere jeder Art von Medikament oder Umweltgift auszusetzen – und in diesem Zusammenhang nennen sie ausdrücklich HBCD -, welches einen Vitamin K Mangel des Fötus herbeiführen könnte. In den 80er Jahren konnten schwedische Mediziner einen deutlichen Anstieg von heftigen Blutungen bei der Geburt feststellen, der seither nicht mehr zurückgegangen ist. Gleichzeitig wurde eine neue Krankheit an Neugeborenen, die „Late Haemorragic Disease of the New Born“, basierend auf einem Mangel an Vitamin K definiert. Heute reagiert die Medizin auch in Österreich standardmäßig mit erhöhten Gaben von Vitamin K an das Neugeborene.
Wie sieht es rechtlich aus?
Seit April 2013 sind die Herstellung und der Handel von HBCD weltweit nach der Stockholmkonvention verboten. Die EU hat von diesem Verbot ein Opt-Out gemacht, mit der Begründung, man wolle das früher erlassene Verbot von HBCD durch REACH, das europäische Chemikaliengesetz, abwarten, welches einen längeren Übergangszeitraum vorsieht, nämlich den 17.8.2015. Sobald dieses in Kraft trete, werde man durch ein Opt-In wieder in Gleichklang mit der Völkergemeinschaft treten.
Doch so einfach ist das nicht. Neun Hersteller von Polystyrolgranulat haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, um eine befristete Ausnahme für die Anwendung in EPS-Platten im Baubereich anzusuchen. Dies ist mengenmäßig betrachtet mit Abstand seit Jahrzehnten die Hauptanwendung von HBCD in Kunststoffprodukten. Die Hintergrunddokumente geben keine nähere Information über die tatsächlich in Europa produzierte Menge vor dem Verbot für HBCD. An einigen Stellen wird die Menge auf 7.000-8.000 t/a (Tonnen im Jahr) HBCD geschätzt. Im Antrag zur Zulassung für die Ausnahme der EPS-Anwendung im Gebäudebereich nach dem Verbot für HBCD gibt die Industrie eine maximal zu erwartende Menge von 8.000 t/a an. Es stellt sich also die Frage, wieviel HBCD nun tatsächlich durch das allgemeine Verbot eingespart wurde.
Die EU-Kommission hätte bis zum April 2014 eigentlich die Zulassungen für die HBCD-Anwendung bestätigen und eine Frist festsetzen müssen, bis zu der HBCD in den zugelassenen EPS-Platten noch angewendet werden darf. Die Frist verstrich und auch mit dem Einsetzen des Verbotes am 17.8.2015 war nicht geregelt, ob und wie lange die Ausnahmegenehmigung gelten sollte. Interessante Regelung: Wenn die Kommission keine Zustimmung oder Ablehnung zu einem Zulassungsantrag erlässt, darf der Stoff über das allgemeine Stoffverbot hinaus von allen Herstellern, die im Genehmigungsverfahren eingebunden waren, weiterhin erzeugt und vertrieben werden. Erst am 13.1.2016 erließ die Kommission eine Bestimmung. Dort setzte sie einen Überwachungszeitraum bis 17.8.2017 fest, innerhalb dessen die neun betroffenen Hersteller alle drei Monate angeben müssen, wie viel vom alternativen Flammschutzmittel am Weltmarkt verfügbar ist. Von Seiten von REACH ist also noch kein Ende der HBCD-Produktion in Europa festgesetzt.
Von Seite des Umweltministeriums wurde uns versichert, dass das Fehlen des Verbots in der Kommissionsentscheidung vom 13.1.2016 ersetzt werden wird durch das ausstehende Opt-In der POP-Verordnung. Es bleibt aber die Frage, warum kommt dieses Opt-In nicht, das uns ja schon mit 17.8.2015 versprochen wurde. Auch für Hersteller wäre damit Rechtssicherheit und Planbarkeit gegeben.
Zwischen-Resümee
Vom Vorliegen erster Nachweise der bioakkumulativen Wirkung von HBCD 1979, bis zum Ende des Überprüfungszeitraumes für seine Hauptanwendung in EPS-Platten 2017 werden 38 Jahre vergangen sein. Das ist mehr als eine ganze Generation. HBCD ist seit den frühen 60er Jahren auf dem Markt. Es durfte also fast 57 Jahre ungeregelt in die Umwelt entlassen werden, das entspricht fast 2 Generationen. Und in Europa gibt es immer noch kein definitives Aus.
Wie sieht die Situation in Österreich aus
In Österreich, versichert uns die Gütegemeinschaft der Polystyrol-Hersteller (GPH), sei das alles gar kein Thema mehr. Ihre Mitglied-Hersteller hätten alle schon seit Jänner 2015 auf das neue Flammschutzmittel umgestellt.
Bei den Lieferanten des Polystyrolgranulats sieht die Situation noch anders aus: Sunpor, einer der wichtigsten Granulatproduzenten für die EPS-Plattenhersteller in Österreich ist einer der neun Chemiekonzerne, die um Verlängerung der Anwendung von HBCD angesucht haben, und die jetzt über eine momentan noch zeitlich wie mengenmäßig unbefristete Zulassung zur Herstellung dieses Stoffes verfügen. Eine Antwort, wozu Sunpor diese Zulassung verwendet, steht noch aus.
Zwar befindet sich INEOS Styrenics Germany, ein weiterer der fünf Lieferanten der GPH, nicht selbst unter den zugelassenen Firmen, aber INEOS Styrenics Netherlands BV, INEOS Styrenics Ribercourt SAS und INEOS Styrenics Wingles SAS aus Frankreich besitzen eine Zulassung.
Ebenso verhält es sich mit der Firma Synthos S.A. in Oświęcim. Sie selbst ist Lieferantin der GPH und hat keine Zulassung für die weitere Produktion von HBCD. Synthos Dowry, ebenfalls in Oświęcim beheimatet, und Synthos Kralupy S.A. befinden sich dagegen jedenfalls unter den neun Zulassungsinhabern in Europa.
Ist denn die Alternative besser?
Der Ersatz für HBCD ist derzeit ein Stoff, der mit pFR für poly-flame-retardant, also polymeres Flammschutzmittel, bezeichnet wird. Manchmal wird er auch FR-122 genannt. Das Patent dafür hat die Firma DOW und sie hat die Rechte für die Produktion derzeit weltweit an drei Unternehmen verkauft.
Für pFR wird ein Styrol-Butadien-Styrol (SBS) Molekül auf so sanfte Art ionisch bromiert, dass die Polymerstruktur erhalten bleibt. Somit darf pFR rechtlich als Polymer bezeichnet werden. REACH gilt nicht für Polymere. Es gibt auch keine alternative Regelung in Europa, welche für das Inverkehrbringen von Polymeren einen Unbedenklichkeitsnachweis fordern würde. Damit ist natürlich für viele chemische Unternehmen der Anreiz geschaffen, als problematisch identifizierte Additive durch Kleinstpolymere zu ersetzen. Abgesehen davon, dass diese Stoffe sich somit einer gesetzlichen Bewertung und toxikologischen sowie ökotoxikologischen Einstufung entziehen, sind derzeit auch noch keine Studien über deren Wirkungsweise insbesondere deren Abbauwege in der Umwelt bekannt. Hier offenbart sich ein grundlegendes Problem unserer Gesetzgebung.
Wie viel wissen wir wirklich?
Zunächst ist es wichtig, deutlich zwischen 3 unterschiedlichen Stoffkategorien zu unterscheiden:
- Stoffe, von denen wir wissen, dass sie gefährlich sind,
- Stoffe, von denen wir wissen, dass sie ungefährlich sind, und
- Stoffe, von denen wir leider noch nichts wissen.
Die GPH erklärt in ihren Faktenblättern, zugänglich auf ihrer Webpage (https://www.gph.at/ unter „Fakten“), dass das neue Flammschutzmittel weder toxisch noch bioakkumulierbar sei. Noch haben wir keine Antwort auf unsere Anfrage nach wissenschaftlich unabhängigen Studien bekommen, die diese Aussage bestätigen. Solange keine belastbaren Unterlagen vorliegen, können die Gefahren, die von dem neuen Stoff ausgehen, nicht abgeschätzt werden.