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Der Klimawandel schreitet voran, die Welt erstickt an Plastik: warum handeln wir nicht?

Das Problem ist komplex, schon klar. Das in diesem Artikel besprochene Buch (3 Bücher in einem) könnte jedoch Licht in einen zentralen Aspekt des Problems bringen.

Publikation

Biologie der Angst – Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn – Die Macht der inneren Bilder

Warum wir sind wer wir sind, und wie wir uns in eine Richtung ändern können, die wir uns für uns selbst und unsere Umwelt wünschen.

Das Gefühl, mit dem man das Buch am Ende der Lektüre schließt, ist Erschütterung. Doch das Buch gibt auch Hoffnung – eine uralte Weisheit, die Hüther in Form aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse verkündet:

Retten kann uns nur noch die Liebe.

Ob wir unsere Biosphäre, wie wir sie kennen, noch retten können hängt demnach davon ab, ob es uns gelingt, zuerst uns selbst, dann unsere Kinder, unsere Freunde, die Heimat und schließlich unsere Umwelt lieben zu lernen, ihre Bedürfnisse zu erkennen und für sie zu sorgen, wie eine Mutter für ihr Baby sorgt.

Ausgehend von molekularen Mechanismen in unseren Gehirnen spannt Hüther einen aufregenden Bogen von Angst, als Vorhersehen des Entgleitens eines inneren Gleichgewichtes, über Stress, der von Angst ausgelöst wird und zu einem spezifischen  Handeln führt, bis hin zum Glücksgefühl, das einsetzt, wenn es gelungen ist, das innere Gleichgewicht wieder zu erlangen. Die biologischen Grundmechanismen sind immer die gleichen: beim primitiven Einzeller ebenso, wie beim neugeborenen Baby oder später beim erwachsenen Menschen. 

Den nächsten, fast noch aufregenderen Bogen spannt er schließlich vom Neugeborenen bis zum mündigen und vor allem handlungsfähigen Erwachsenen: Das Baby, das als Reaktion auf den Stress „Hunger“ schreit, lernt, dass sein Handeln (nämlich Schreien) erfolgreich war, wenn die Mutter es stillt. Es wird mit Glücksgefühlen belohnt und lernt damit, dass es kompetent ist und für die Wiederherstellung seines inneren Gleichgewichts sorgen kann. Wenn die Mutter regelmäßig auf die Bedürfnisse ihres Babys eingeht, wird es ihren Anblick mit den Glücksgefühlen verbinden, mit denen es so oft belohnt worden ist - und das, so Hüthers These, nennen wir dann Liebe.

Der dritte Bogen geht von einem Baby aus, das erkannt hat, dass die Mutter seine uneingeschränkte Unterstützerin ist. Folglich übernimmt es zunächst ihre Reaktionen, Handlungsmuster und schließlich auch Werte – und das schließt auch das Eingehen auf die Bedürfnisse Anderer ein. Es lernt, dass es Menschen gibt, denen die Mutter vertraut, und solche, denen sie reservierter gegenübersteht. Von den Vertrauten der Mutter wird es später Reaktionsmuster und Werte annehmen. So wächst es schließlich in eine Gemeinschaft und ihr Repertoire an Handlungsmustern, Reaktionen und Werten hinein, aus denen es in einem späteren Stadium aussuchen kann, welche es für sich selbst übernehmen möchte.

Der letzte Bogen, den Hüther spannt, führt schließlich von der Verbundenheit und der Liebe mit der Mutter, über die Verbundenheit mit der Gemeinschaft in der das Kind aufwächst, zur Verbundenheit mit einer immer größeren Umgebung und insbesondere auch der mit der Umwelt und allem was den Menschen umgibt. Nur eine solche Verbundenheit kann letztendlich dazu führen, dass der Mensch bereit ist, für seine Umwelt zu sorgen und sie zu erhalten.

Wenn wir uns nun fragen, warum wir nicht bereit sind, für unsere Umwelt zu sorgen, so ist die Antwort wohl hier zu finden. Wieviele Kinder wachsen denn schon in einer perfekten, liebevollen Umgebung auf und haben die Chance zu der hier geschilderten idealen Form von Liebe zu finden? Die meisten von uns haben schon Schwierigkeiten, sich selbst zu akzeptieren und zu lieben. Wie viele können folglich diese Liebe an ihre Kinder weitergeben, indem sie so vorausblickend für sie sorgen, dass auch diese noch in einer funktionierenden Umwelt ihre Kinder großziehen können? Schließlich sind es nur die allerwenigsten, die bereit sind, ihre Verhaltensmuster so zu ändern, dass vorhersehbare Umweltkatastrophen und damit verbundene menschliche Katastrophen nicht eintreten.

Der vernichtende Schluss, den die Leserin aus der Lektüre zieht, ist wohl der, dass wir als Gesellschaft so verletzt sind, dass unsere Liebe nicht weiter reicht als bis zum Tellerrand, wenn überhaupt.

Wer also unsere Welt retten möchte wird sich wohl auch folgende Frage stellen müssen: Wie kann es gelingen, einen so großen Teil der Bevölkerung soweit zu heilen, dass sie von sich aus bereit ist, alte Handlungsmuster aufzubrechen und neue Wege zu gehen? Brauchen wir flächendeckende Psychotherapie?

Hüther schreibt auch für nicht-Neurobiologen leicht verständlich und unterhaltsam. Seine Interpretationen sind verblüffend und die daraus gezogenen Lehren revolutionär aber immer voller Liebe und Verständnis für uns alle, besonders diejenigen, bei denen nicht alles in idealen Bahnen verlief. Er macht uns Mut uns selbst zu erforschen, und er gibt Anstöße, unser Gehirn so zu verwenden, wie es für ein menschliches Gehirn vorgesehen ist: nämlich durch lebenslanges lustvolles Leben und Lernen alte Denkmuster aufzubrechen und so unser Handelsspektrum uneingeschränkt zu erweitern, damit wir handlungsfähig bleiben. Mit anderen Worten: er gibt uns den Schlüssel zur Freiheit in die Hand.

Gerald Hüther war Professor für Neurobiologie und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Göttingen. Heute ist er Vorstand der Akademie für Potentialenfaltung, die er selbst gegründet hat.

Caroline Thurner, IBO

Gerald Hüther,
Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. Die Macht der inneren Bilder. Biologie der Angst
Vandenhoeck & Ruprecht Verlag 2013, 137 Seiten, Euro 24,99