LCA von Baumaterialien
Umweltproduktdeklarationen (EPD) von Bauprodukten basieren auf einer nach EN 15804 standardisierten Lebenszyklusanalyse (LCA), auch Ökobilanz genannt. Gemäß der europäischen Bauproduktenverordnung (EU 2011, derzeit in Überarbeitung) sollen EPD, soweit verfügbar, zur Bewertung der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen und zur Beurteilung der Auswirkungen von Bauwerken auf die Umwelt herangezogen werden. Im Sinne des in der Einleitung Erwähnten, ist es wichtig zu wissen, ob und wie gut das eine EPD wirklich leisten kann.
Die LCA ist eine Stoffflussanalyse, d.h. es werden die kompletten Stoffmengen, die in ein definiertes abgegrenztes System hineinfließen (Summe aller Inputs), dort verbraucht oder umgewandelt werden und wieder hinausfließen (Summe aller Outputs), bilanziert. Stoffen mit Auswirkungen auf bestimmte Umweltparameter, wie zum Beispiel dem Treibhauspotential, werden dann entsprechende Schadenspotentiale zugeordnet und aufsummiert.
Vorteile und Nachteile
Der große Vorteil einer LCA ist, dass man innerhalb klar definierter Systemgrenzen quantitative Aussagen über bestimmte Umweltparameter treffen kann. Damit können zum Beispiel die Auswirkungen eines Gebäudes auf das Klima mittels Treibhauspotential einfach und verständlich dargestellt werden. Demzufolge macht auch die Verankerung von Umweltdeklarationen in der europäischen Bauproduktenverordnung Sinn. Wie aussagekräftig ist aber eine EPD wirklich? Welche Schritte sind notwendig, um die EPD zu einer wirklich guten Grundlage für wegweisende ökologische Entscheidungen zu entwickeln?
Ungenauigkeiten/Spielräume
Leider sind die Norm EN 15804 und entwickelte Produktkategorieregeln aufgrund vielschichtiger Interessen der Stakeholder nicht immer eindeutig formuliert und lassen so einen gewissen Interpretationsspielraum. Viel diskutierte konkrete Beispiele mit relevanten Auswirkungen sind die Berücksichtigung der biogenen CO2-Speicherung von Produkten aus nachwachsenden Materialen und die Allokation von sekundären Brennstoffen sowie Coprodukten. Dabei geht es um die Frage, wie und ob die Lasten dem Erzeuger des sekundären Brennstoffes oder dem Nutzer, der bei der Verbrennung freiwerdenden Energie, angelastet werden.
Hohe Recyclingquoten sind durchaus positiv zu sehen. Bei der Beurteilung des Einsatzes von sekundären Materialen macht es aber einen riesigen Unterschied, ob man vom tatsächlichen Recycling Gehalt = (Recyceltes Altmetall)/(Gesamtmengen an produziertem primärem und sekundärem Metall) oder von der technisch möglichen Recyclingrate = (Recyceltes Altmetall)/(Altmetall, das für Recycling genutzt werden kann) ausgeht.
Von entscheidender Bedeutung auf Gebäudeebene ist die zu berücksichtigende Nutzungsdauer der eingesetzten Bauteile. Betrachtet man einen Zeitraum von 100 Jahren, muss ein Fußboden mit einer Lebensdauer von 10 Jahren 10 Mal ausgetauscht und die Herstellung von 10 Böden bilanziert werden. Wird ein Fußboden mit 20 Jahren Lebensdauer eingesetzt, muss der nur 5 Mal ersetzt werden. Lange Lebensdauern sind also durchaus als positiv zu sehen. Es gilt aber zu berücksichtigen, dass die Nutzungsdauer eines Baustoffes gewöhnlich nicht vom Material sondern vor allem von anderen Rahmenbedingungen bestimmt wird. Die Anforderungen der Referenznutzungsdauer der zu Grunde liegenden Normreihe ISO 15686 sind so komplex, dass sie von Herstellern normalerweise nicht garantiert werden. Als Lösung greift man aktuell auf semi-wissenschaftliche Nutzungsdauerkataloge von anerkannten Institutionen zurück, die durchschnittliche Lebensdauern von Produkten publizieren.
Es müssen klare Ziele für Nachhaltigkeit in allen Bereichen formuliert werden, wie zum Beispiel der Klimaschutz mit Klimaneutralität bis 2050. Basierend auf wissenschaftlichen Grundlagen müssen die besten Lösungen erarbeitet und definiert werden, um diese Ziele zu erreichen und somit auch entsprechende Interpretationsspielräume einzuschränken.
Methodische Schwächen
Nach der aktuellen EN 15804 werden 36 unterschiedliche Umweltparameter berechnet. Die Verknüpfung von Ursache und Wirkung ist dabei methodisch oft alles andere als trivial und nicht alle Parameter sind gleich aussagekräftig. Eine besondere Herausforderung ist es, wenn regionale Faktoren einen entscheidenden Einfluss auf die Aussagekraft eines Parameters haben. Die Verfügbarkeit von solchen Daten ist oft schwierig und entsprechende Parameter oft nicht für alle Regionen der Welt anwendbar.
Tabelle 1 aus dem ILCD Handbuch des Joint Research Center [JRC 2010] enthält eine Zusammenfassung der empfohlenen Methoden (Modelle und zugehörige Charakterisierungsfaktoren) und ihrer Klassifizierung am Mittelpunkt. Die empfohlenen Charakterisierungsmodelle und zugehörigen Charakterisierungsfaktoren werden entsprechend ihrer Qualität in drei Stufen eingeteilt: „I“ (empfohlen und zufriedenstellend), Stufe „II“ (empfohlen, aber verbesserungsbedürftig) oder Stufe „III“ (empfohlen, aber mit Vorsicht anzuwenden). Eine gemischte Klassifizierung hängt manchmal mit der Anwendung der klassifizierten Methode auf verschiedene Arten von Stoffen zusammen. In der Übersichtstabelle gibt die Klassifizierung „interim“ (vorläufig) an, dass eine Methode als die beste unter den analysierten Methoden für die Wirkungskategorie angesehen wurde, aber noch nicht ausgereift ist, um empfohlen zu werden. Dies bedeutet nicht, dass die Wirkungskategorie nicht relevant wäre, aber zuvor sind weitere Anstrengungen erforderlich. Eine Empfehlung zur Verwendung kann gegeben werden.
Trotz der vielen verpflichtend zu berechnenden, berücksichtigt eine EPD nicht alle für Nachhaltigkeit entscheidungsrelevanten Parameter. Wird beim Abbau einer Ressource Regenwald abgeholzt, wird gemäß einer EN 15804 konformen LCA nicht berücksichtigt, ob der Abbau legal ist, wieviel CO2-Speicherung durch den Verlust an Wald verloren geht, ob die Biodiversität abnimmt oder ob es eine Landflucht der heimischen Bevölkerung zur Folge hat. Es werden weder die Stör- und Unfälle im Umgang mit umweltproblematischen Stoffen, noch die Folgen der Kontaminierung unserer Umwelt durch nicht korrekt entsorgte Abfälle berücksichtigt. Nur so ist es erklärbar, das z.B. Energie aus Atomkraftwerken als CO2-neutrale Lösung für die Zukunft präsentiert wird, obwohl es immer wieder zu Störfällen mit unzähligen Opfern kommt und es auch keine Lösung für die Abfälle gibt, deren Entsorgungskosten der Allgemeinheit aufgebürdet werden.
Wenn man EPD, wie in der Bauproduktenverordnung verankert, zu einer „richtigen“ Bewertung der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen und zur Beurteilung der Auswirkungen von Bauwerken auf die Umwelt heranzieht, müssen die bestehenden Methoden stetig weiterentwickelt und durch zusätzliche Indikatoren für Nachhaltigkeit ergänzt werden.
Integration sozialer Aspekte in die LCA
Die Berücksichtigung von sozialen Kriterien in Umweltproduktdeklarationen ist schwierig, da die Aussagen auf physikalischen Stoffflüssen von Produkten beruhen. Viele soziale Kriterien hängen weniger vom Produkt, als von den produzierenden Unternehmen ab. Soziale Kriterien auf eine Funktionseinheit eines Produktes umzulegen, stellt eine große Herausforderung dar. Einige der Kriterien sind nicht quantitativ messbar, sondern beruhen auf einer qualitativen Bewertung. Soziale Aspekte benötigen bei der Datenerhebung zusätzliche und andere Fragestellungen.
SLCA (Social Lifa Cycle Assessment) haben in der wissenschaftlichen Gemeinschaft viel Interesse geweckt und es wurden verschiedene methodische Ansätze entwickelt, wie man mit der Bewertung der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit auf Produktebene umgehen kann. Im Jahr 2009 wurde von der UNEP/SETAC Life Cycle Initiative ein erster Leitfaden vorgestellt und 2013 folgten Methodenblätter mit umfassenderen Vorschlägen zur Anwendung der Ökobilanz. Die SLCA folgt dem Rahmenwerk der ISO 14044, hat aber keinen internationalen Standard. Es gibt immer noch Herausforderungen, die bewältigt werden müssen, bevor die SLCA mehr Glaubwürdigkeit erlangt und sich als zuverlässiges Werkzeug etabliert. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Weiterentwicklung der SLCA für eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsbeurteilung mitentscheidend ist.
In der Abbildung 1 wird ein Beispiel nachhaltiger Bewertungskategorien dargestellt.
Biodiversität
Der zunehmende Verlust an biologischer Vielfalt drängt ebenfalls zum Handeln. Es gibt seit Jahren Bestrebungen geeignete Ansätze zu finden, um diesen Parameter in Ökobilanzen aufzunehmen. Viele Faktoren machen es schwierig, Biodiversität mit einem global einheitlichen Indikator abzubilden. Es wurden Methoden entwickelt, die Auswirkungen von Produkten über den Lebenszyklus auf die Biodiversität regionalspezifisch zu ermitteln und darzustellen. Genannt sei hier der Abschlussbericht des F+E-Vorhabens „Weiterentwicklung der Ökobilanzen durch Integration der Biodiversitätsauswirkungen von Produkten“ von (Lindner et al. 2019) und die dabei entwickelte Methode des „Biodiversitiy Impact Assessment“.
Momentan wird Biodiversität in den Umweltdeklarationen nicht abgebildet. Es ist zu hoffen, dass sie durch solche Arbeiten in naher Zukunft berücksichtigt wird.
Ergänzende Non-LCA Methoden
Wie am Beispiel der SCLA und Biodiversität gezeigt, lassen sich (noch) nicht alle für die Nachhaltigkeit wichtigen Indikatoren mit der Methode der LCA zielführend darstellen. Trotzdem sollten sie ökologisch bewertet und berücksichtigt werden. Wie das IBO am Beispiel des Entsorgungsindikators (weiterentwickelt in Figl et al. 2020) beweist, gibt es auch geeignete andere Methoden, ergänzende Teilaspekte der Nachhaltigkeit zu bewerten. In Bezug auf Toxizität gibt es Kritik an der Robustheit des Indikators. So können alternativ Laboranalysen von Produkten zumindest für die Nutzungsphase zur Bewertung eingesetzt werden. In diesem erweiterten Sinne bieten Umweltkennzeichnungen vom Typ I nach EN ISO 14024 wie das IBO Prüfzeichen und natureplus-Qualitätszeichen für Baustoffe bereits komplettere Bewertungen an.
Bewertung der Resultate
Dank der quantitativen Berechnung des Treibhauspotentials in CO2-Äquivalenten ist die Bewertung der Klimarelevanz relativ einfach und verständlich durchführbar. Genauso sind Aussagen mittels anderer robuster Wirkungsindikatoren möglich. Die Betrachtung solcher singulärer Indikatoren ist wichtig, um dringliche Umweltprobleme zu lösen. Dabei sollte es nicht zu einer Verschiebung der Probleme in andere Umweltkategorien kommen. Der Wunsch nach einer Bewertung aller Nachhaltigkeitsaspekte in einer Zahl ist nachvollziehbar. Eine EPD wirft aber 36 Umweltparameter aus. Die dafür nötige Gewichtung der Auswirkungen von klimaschädlich bis toxisch ist schwierig. Es gibt bereits diverse Bestrebungen dies auf Gebäudeebene umzusetzen. Damit eine gewichtete Bewertung in Zukunft einfacher wird, ist es sinnvoll Parameter zu definieren, welche miteinander korrelieren.
Vollständigkeit und Qualität von Daten
Für die genaue Analyse von Prozessen braucht es entsprechend gute Daten. Wenn Emissionsmessungen eines Prozesses fehlen, können keine produktspezifischen Aussagen getroffen werden. Man kann sich mit generischen Daten aus Verbrennungsreaktionen behelfen, damit sind aber keine herstellerspezifischen Aussagen möglich. Für eine aussagekräftige Ökobilanz ist und bleibt man darauf angewiesen, dass Hersteller alle relevanten Daten vollständig und korrekt bereitstellen.
Fazit
Eine Lebenszyklusanalyse ist ein geeignetes Tool, um innerhalb klar definierter Systemgrenzen spezifische Umweltwirkungen zu analysieren. Will man es als Entscheidungshilfe zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Bauprodukten verwenden, muss der komplette Lebenszyklus bilanziert werden. Das wird mit Umweltproduktdeklarationen nach EN 15804 angestrebt. Wie der Name sagt ist die EPD aber nur eine Deklaration vieler einzelner Indikatoren, und es findet keine komplette finale Bewertung in Bezug auf Nachhaltigkeit statt. Dafür müssten viele zusätzliche Kriterien berücksichtigt werden. Die LCA und EPD entwickeln sich weiter indem es Bestrebungen gibt, soziale Kriterien und die Biodiversität mittels Lebenszyklusanalyse abzubilden.
EPD dienen gemäß der Bauproduktenverordnung der Bewertung der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen und zur Beurteilung der Auswirkungen von Bauwerken auf die Umwelt. Dabei relativieren sich viele von den genannten Unsicherheiten, da auf Gebäudeebene viele Produkte mengenmäßig nicht ins Gewicht fallen. Trotzdem müssen auf allen Ebenen rigoros ökologische Maßnahmen gesetzt werden.
Um die größten Herausforderungen wie die Klimakrise noch zu bewältigen, muss ressourceneffizienter gebaut werden. Technische und architektonische Lösungen, die Mengen reduzieren, können dabei helfen und die am häufigsten eingesetzten Baumaterialien müssen so schnell wie möglich CO2- neutral produziert werden.
Für all das braucht es stringente gesetzliche Rahmenbedingungen. Damit entsprechende Entscheidungen getroffen werden können, braucht es eine zufriedenstellende ökologische Bewertung. Diese basiert auf offen und ehrlich kommunizierten Daten. Es sollten Verbesserungspotentiale analysiert und deren zeitnahe und realistische Umsetzung forciert werden. Wir brauchen die besten Lösungen, und die brauchen wir rasch.
Literatur
[EN ISO 14024:2018] Umweltkennzeichnungen und -deklarationen - Umweltkennzeichnung Typ I - Grundsätze und Verfahren, CEN: Brüssel, Belgien, 2018.
[EN ISO 14044:2018] Umweltmanagement -Ökobilanz -Anforderungen und Anleitungen (ISO 14044:2006 + Amd 1:2017), ISO: Genf, Schweiz, 2018.
[EN 15804:2019] + A2 Sustainability of construction works - Environmental product declarations – Core rules for the product category of construction products. CEN: Brussels, Belgium, 2019.
[EU 2011] Amtsblatt der Europäischen Union: VERORDNUNG (EU) Nr. 305/2011 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 9. März 2011
[Figl et al. 2020] Figl, H.; Thurner, C.; Dolezal, F.; Schneider-Marin, P.; Nemeth, I. A new Evaluation Method for the End-of-life Phase of Buildings. Earth Environ. Sci. 2019, 225. doi:10.1088/1755-1315/225/1/012024
[ISO 15686-1:2011] Buildings and constructed assets — Service life planning — Part 1: General principles and framework, ISO:Genf, Schweiz, 2011
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[ISO 15686-7:2017] Buildings and constructed assets — Service life planning — Part 7: Performance evaluation for feedback of service life data from practice, ISO:Genf, Schweiz, 2017
[ISO 15686-8:2008] Buildings and constructed assets — Service life planning — Part 8: Reference service life and service-life estimation, ISO:Genf, Schweiz, 2008
[JRC 2010] Recommendations for Life Cycle Impact Assessment in the European context- based on existing environmental impact assessment models and factors, ISBN 978-92-79-17451-3, © European Union, 2011
[Lindner et al. 2019] Lindner, J.P., Eberle, U., Schmincke, E., Luick, R., Niblick, B., Brethauer, L., Knüpffer, E., Beck, T., Schwendt, P., Schestak, I., Arana D. Biodiversität in Ökobilanzen (FKZ 3511 82 3100); ISBN 978-3-89624-265-5
[UNEP/SETAC 2009] Life Cycle Initative, Guidelines for Social Life Cycle Assessments of Products, United Nations Environment Programme, 2009.