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Gebäudesoftskills

Ob ein Gebäude heute auf allen Ebenen „erfolgreich“ ist, ob es langfristig funktioniert und von den Menschen angenommen wird, hängt nicht nur von dessen energetischer Performance, seiner leichten Erreichbarkeit oder finanziellen Leistbarkeit ab, sondern in zunehmendem Maße von der Erfüllung jener Kriterien, die es zu einem an den Menschen angepassten Ort des Wohlbefindens machen – und der Grundstein dafür wird bereits im Planungsprozess gelegt.

ForschungGebäudebewertungMessung & Monitoring

Menschengerecht ... auf allen Ebenen

Die Umgebung, in der wir einen großen Teil unserer Lebenszeit verbringen, genauer zu betrachten und Faktoren herauszuarbeiten, die für Wohlbefinden und Gesundheit in Gebäuden beitragen, ist eines der Ziele des seit Jänner 2017 am IBO laufenden Projektes Gebäudesoftskills. Dazu haben sich Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen zu einem sogenannten Qualifizierungsnetz zusammengeschlossen und gemeinsam ein Curriculum erarbeitet, in dessen Rahmen zukunfts-, bedarfs- und zielgerichtete Weiterbildungsmaßnahmen stattfinden. Durch die Teilnahme von AkteurInnen aus Architektur, Medizin, Bauphysik, Psychologie, Softwaretechnik, Lichtdesign, Bauökologie, Anthropologie, Farbgestaltung und vielen anderen Bereichen kommt es zu einer interdisziplinären Vernetzung und bautechnischem Know-How mit Erkenntnissen aus den Humanwissenschaften. Die Teilnehmenden stammen sowohl aus wissenschaftlichen Einrichtungen als auch aus der Wirtschaft.

Vergleichbar mit dem Begriff Softskills aus der Psychologie, wo damit soziale, außerfachliche bzw. fachübergreifende Kompetenzen gemeint sind, stehen im Baubereich Softskills für Eigenschaften eines Gebäudes, die auf Gesundheit, Wahrnehmung und Verhalten von Menschen einwirken – also Bereiche betreffen, die nicht unmittelbar mit dem Baugeschehen in Verbindung gebracht werden. Gebäudesoftskills sollen die menschlichen Bedürfnisse nach Wohlergehen und Gesundheit fördern.

Im Lauf der Zeit haben sich unsere Behausungen kontinuierlich verändert. Zu Beginn der Architekturgeschichte waren verwendete Materialien, Gebäudeform und -größe an gegebene Umweltbedingungen und Anforderungen angepasst. So entwickelten sich regional charakteristische Bauweisen und -formen.

Heute leben wir in einer Zeit zunehmender Vereinheitlichung: Gebäude in der westlich orientierten Welt gleichen einander immer mehr, vor allem was Materialien und Gebäudeformen betrifft. Wir bauen höher, schneller, größer und dichter, immer mehr neue Technologien werden entwickelt und eingesetzt. Bauzeit, Flächenausnutzung, Wandsysteme, Baustoffe… alles soll optimiert sein.

Ohne Zweifel haben sich viele Aspekte des Wohnens im Vergleich zu den letzten Jahrhunderten zum Positiven entwickelt: offenes Feuer ist aus den Wohnräumen verbannt (bzw. werden die Rauchgase kontrolliert aus dem Haus geleitet), die Belichtungssituation ist wesentlich besser als zur Zeit der Arbeiterkasernen und Gesindestuben und die Überbelegung gehört durch entsprechend große Wohneinheiten weitestgehend ebenfalls der Geschichte an.   

Auch soziale Aspekte fließen in den Gestaltwandel der Wohnform ein: zunehmend finden wir Lebensformen außerhalb tradierter, ehelich-familiärer Lebensgemeinschaften, demografische Strukturen wandeln sich und bringen eine Anpassung der Wohnform mit sich. Lebensstile sind so vielfältig wie die Menschen selber. Die Trennung von Wohnen und Arbeiten – wie in der westlichen Gesellschaft vermehrt der Fall – ist durch den Wandel der Arbeitswelt und die fortschreitende technologische Entwicklung seit einigen Jahren keine Selbstverständlichkeit mehr.  
Weltweit werden etwa 30–40 % der Primärenergie im Gebäudesektor verbraucht1. Ausgehend von der EU-Richtlinie 2012/27/EU wurde in Österreich im Jahr 2014 das Bundes-Energieeffizienzgesetz beschlossen, wonach bis 2020 20 % des Primärenergieverbrauchs einzusparen sind2. Im Gebäudebereich soll dies durch Errichtung von Gebäuden erzielt werden, die aufgrund ihrer dichten Bauweise wenig Wärmeenergieverluste und damit geringeren Wärmeenergiebedarf aufweisen. Passivhaus- bzw. Niedrigenergiehäuser sind das Gebot der Stunde, Null- bzw. Plusenergiehäuser optimal. Die für unsere Ansprüche erforderlichen Hardskills von Gebäuden – damit sind energetische Optimierung, nutzerInnengerechte Dimensionen, statische Sicherheit, Schutz vor Wind und Wetter und ausreichende Belichtung und Belüftung gemeint – sind im derzeitigen Gebäudestandard3 erfüllt.

Unsere westliche Lebensweise entspricht der einer Vollzeitarbeit-Individual-Gesellschaft: Wir verbringen einen großen Teil unseres Tages einer Erwerbsarbeit nachgehend und ziehen uns danach in die eigenen vier Wände zurück. Rund 90 % unserer Lebenszeit verbringen wir im Innenraum – sei es zuhause, in der Arbeits- oder Ausbildungsstätte, in Transportmitteln, Lokalen oder Geschäften. Dass sich das Umfeld auf unser Wohlbefinden auswirkt, steht außer Zweifel. Seit etwa 40 Jahren – als der Wärmeverlust aufgrund der Energiekrise der 1970er-Jahre und damit der Luftwechsel in Gebäuden reduziert wurde – existiert das Phänomen gebäudebezogener Krankheitssymptome im wissenschaftlichen Diskurs, 1986 prägte die WHO den Begriff „Sick Building Syndrome“. Damit werden Symptome beschrieben, die keine erkennbare spezifische Ursache haben und auf Expositionen gegenüber einer bestimmten Gebäudeumgebung zurückgeführt werden. Ursachen können einzelne oder eine Kombination unterschiedlicher Faktoren sein: schlechte Innenraumluftqualität, unangepasste Belichtung oder Beleuchtung, schlechtes Innenraumluftklima (Temperatur, Luftfeuchtigkeit) oder schlechte Akustik. Die Beschwerden der GebäudenutzerInnen sind vielfältig: Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Reizung der Atemwege, Haut und Augen, Konzentrationsschwäche, Leistungsabfall usw. Wir haben unsere Gebäude in vielerlei Hinsicht optimiert, auf der anderen Seite können sie in Verbindung mit unserem Lebensstil zu Unbehaglichkeit und Krankheiten beitragen.

„…  messbar machen, was noch nicht messbar ist“4  

Viele Gebäudeeigenschaften können heute anhand unterschiedlicher quantitativer Methoden erhoben werden. Dazu gehören schalltechnische Eigenschaften, Belichtungs- und Raumluftsituation, die Menge der zugeführten Frischluft oder die Performance der Wärmedämmung. Bei der Wirkung der gebäudespezifischen Parameter auf Gesundheit und Wohlbefinden gehen jedoch die Meinungen auseinander, was mögliche Erhebungsinstrumentarien betrifft. Es stellt sich die Frage nach der Angemessenheit einer am naturwissenschaftlichen Erkenntnismodell orientierten Forschungslogik auf die soziale Welt. Hier werden subjektive, psychologische und soziale Aspekte herangezogen, um Einstellungen, Wahrnehmung und Verhaltensweisen zu erfassen. Und wie wir wissen, unterscheidet sich die menschliche Wahrnehmung abhängig von Alter, Sozialisierungshintergrund und Verfassung. Doch trotz unterschiedlicher Fachgebiete sind alle Disziplinen durch die wissenschaftliche Vorgehensweise verbunden: Begriffe werden erklärt, operationalisiert, Hypothesen aufgestellt und getestet. Die Gütekriterien für wissenschaftliches Arbeiten sind Objektivität, Reliabilität und Validität, das Ergebnis muss reproduzierbar und logisch widerspruchsfrei sein.

Im Bereich des Wohnens und den möglichen negativen Einflüssen von gebäudespezifischen Charakteristika auf Gesundheit und Wohlbefinden der NutzerInnen liefern medizinische und wahrnehmungsbezogene Studien Ergebnisse, die bereits in Normung und Baurecht verankert sind. Dazu zählen Anforderungen an Wärme- und Schallschutz, Belichtung und Belüftung, Hygiene und Nutzungssicherheit. Allerdings sind hier zwei Einschränkungen vorzunehmen: Es wird bei den gesetzten Richt- und Grenzwerten von einem genormten Menschen ausgegangen, den es ja bekanntlich nicht gibt. Und wie sich das Vorhandensein von Begegnungsräumen, der Ausblick oder die Farbgestaltung auf Menschen auswirken, ist nicht durch Grenzwerte festzulegen.

Bei den Gebäudesoftskills fließen durch die Zusammenarbeit der Fachbereiche Architektur, Medizin, Wohnpsychologie und -soziologie, Bau- und Humanökologie Erkenntnisse aus Technik und Humanwissenschaften zusammen. Grenzen zwischen den Fachgebieten werden hier überschritten und interdisziplinäre Zugänge gesucht. Diese Herangehensweise ermöglicht einen holistischen Ansatz, größere Zusammenhänge und gegenseitige Einflüsse können dargestellt werden, wissenschaftliche Disziplinen arbeiten in einem kollaborativen Lernprozess zusammen.
Im Anschluss an das Gebäudesoftskills-Projekt ist eine Buchpublikation geplant, um die verschiedenen Themenbereiche und Sichtweisen der Projektbeteiligten allen Interessierten zugänglich zu machen.

Fussnoten:

1  United Nations Environment Programme (UNEP). 2007. Building and Climate Change: Status, Challenges and Opportunities.  Paris: p. V

www.monitoringstelle.at/index.php, Zugriff am 24.4.2018

3  Die Angaben in diesem Artikel beziehen sich auf Österreich bzw. westlich orientierte Weltregionen.  

4  Dieses Zitat wird Archimedes (287 – 212 v. Chr.) zugeschrieben.


Projektlaufzeit: Jänner 2017 bis Dezember 2018
Projektleitung: Arch. DI Radinger MSc, DI Ipser, Mag. Sazvar;
                 Donau-Universität Krems, Department für Bauen
                    und Umwelt

 

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