Noch immer wird über ein Drittel der österreichischen Hauptwohnsitze fossil beheizt
Mehr als die Hälfte des österreichischen Endverbrauchs von Energie wird für die Erzeugung von Wärme eingesetzt, wobei 35 Prozent der Hauptwohnsitze direkt fossil mit Erdgas oder Erdöl beheizt werden (Statistik Austria 2023). Da der Ausbau von Biomasse begrenzt und deren Lieferung in Städten unpraktikabel ist, muss die Dekarbonisierung vor allem durch Wärmepumpen erfolgen. Damit das mit ausreichender Geschwindigkeit erfolgen kann, ist die Kosteneffizienz für Eigentümer und Fördergeber entscheidend.
Die Dimensionierung von Wärmepumpen und Umweltwärmequellen basiert auf der Heizlastberechnung und damit auf der Auslegungsaußentemperatur / Norm-Außentemperatur Tne. Die Tne ist nach ÖNORM EN 12831 (Österreichisches Normungsinstitut 2003) das tiefste Zweitagesmittel der Lufttemperatur eines Ortes, das zehnmal in 20 Jahren erreicht oder unterschritten wurde. Diese Definition bedingt, dass sich die Normaußentemperatur stets aus historischen Temperaturdaten bildet. Dies war bei der Entstehung der Norm aufgrund langsam steigender Temperaturen kaum relevant. Frisch aktualisierte Normaußentemperaturen basieren im Mittel auf mehr als 10 Jahre (20 Jahre/2) alten lokalen Lufttemperaturmessungen. Die letzte Publikation der Normaußentemperaturen erfolgte jedoch 2015 (OIB 2015), basierend auf Temperaturdaten aus dem Jahr 1981-2000 (Kraft 2020) also im Mittel 35 Jahre alten Daten in einer beschleunigt fortschreitenden Klimaerwärmung. Die damit viel zu niedrige Norm-Außentemperatur bedingt eine Überschätzung der Heizlast. Dies führt zur Überdimensionierung der Heizungsanlagen, wenn trotz der weit verbreiteten Kenntnis dieser Tatsache der Normvorschrift gefolgt wird, um sich rechtlich abzusichern.
Mehrkosten durch Überdimensionierung
Vergleichsstudien (Fröch 2024, Grim-Schlink 2021) zeigen, dass diese Überdimensionierung bis zu 21 % mehr Kosten verursachen kann. Zum Teil ist diese Differenz durch die Vernachlässigung von internen und solaren Wärmegewinnen erklärbar. Hauptsächlich aber ist der Unterschied bedingt durch die Verwendung aktueller lokaler Klimadaten statt veralteter Normaußentemperaturen für die Simulation. Luftwasserwärmepumpen sind oft bivalent (Stromheizstab) und für einen Bivalenzpunkt ausgelegt, der aktuell zumeist noch an oder knapp über der klimaerwärmungskorrigierten Normaußentemperatur liegt. Zudem entfällt bei Luftwasserwärmepumpen eine Erschließung von separaten Umweltwärmequellen. Bei monovalenter Nutzung von Erdwärme oder Grundwasser als Wärmequelle für Wärmepumpen ist die starre Normberechnung hingegen mit einer Überdimensionierung und höheren Investitions-, Betriebs- und Folgekosten sowie weiteren Nachteilen (vgl. Grim-Schlink 2021) verbunden:
- Überhöhte Investitionskosten (Wärmepumpen, ggf. Umweltwärmequellen, Wärmeverteilung, Wärmeabgabe)
- Der Betrieb modulierbarer Wärmepumpen mit deutlich unter der Hälfte der Maximalleistung senkt den COP und erhöht die Stromkosten (Marsik 2023)
- Häufigere Ein- und Ausschaltzyklen auch von modulierenden Wärmepumpen bei unnötig hoher Minimalleistung bewirken höhere Wartungs- und Instandsetzungskosten, verkürzen die Lebensdauer und erfordern eine verfrühte Ersatzinvestition
- Erhöhter Materialverbrauch und graue Energie
- Unnötige Ablehnung von Sanierungsmaßnahmen wegen Unwirtschaftlichkeit oder aus Platzmangel
- Verschwendung der Arbeitszeit von Fachkräften und Bohrgeräten
- Verschwendung von Fördergeldern von Bund und Land in der Budgetkrise
Es wird folglich ein neues normiertes Verfahren zur Berechnung Normaußentemperatur benötigt, das sich an die Klimaverhältnisse bei Betriebsbeginn anpasst.
Methoden
Das lokale Tagesmittel der Lufttemperatur Te-dm wird für die letzten 30 Jahre (1995-2024) vom Geosphere Austria für Wien Hohe Warte und für alle Messorte im niederösterreichischen Umweltbeobachtungs- und Informationssystem abgerufen. Es wurden die 29 Messstandorte ausgewählt, für die Messdaten in mindestens den letzten 20 Jahren vorliegen und für die auch Normaußentemperasturen in der OIB RL6 Normaußentemperatur 2015 Liste vorliegen. Für die insgesamt 30 Orte wird das gleitende 2-Tagesmittel Te-2dm gebildet. Für jedes Jahr wird das minimale 2-Tagesmittel der Lufttemperatur bestimmt und die Entwicklung dieser Minimalwerte über die letzten 30 Jahre dargestellt. Der jährliche Anstieg der Minimalwerte der Lufttemperatur ΔTmin2d/a wird aus dem Anstieg der Regressionsgeraden ermittelt. Der Datensatz aller Te-2dm wird dann um ΔTmin2d/a, multipliziert mit der Anzahl der Jahre, die zwischen dem betrachteten Datenpunkt und dem Anwendungszeitpunkt der Normaußentemperatur (hier 1. Juli 2025) nach oben korrigiert. Nun kann aus diesem klimaerwärmungskorrigierten Datensatz die Norm-Außentemperatur (Tne-kek) berechnet werden, indem der fünfzehnkälteste 2-Tagesmittelwert bestimmt wird (im Sinne der Norm-Definition ist die Normaußentemperatur die Temperatur, die 15-mal in 30 Jahren statt der 10 in 20 Jahren erreicht oder unterschritten wird).
Dieses Verfahren wurde beispielhaft für Orte in Wien und Niederösterreich angewendet und mit den Normaußentemperaturen gemäß ÖNORM B 8110-5, die auf die OIB-Richtlinie 6, NAT Excel verweist, verglichen.
Ergebnisse
Die jährlichen 2-Tagestemperaturminima stiegen zwischen 1995-2024 in Wien Döbling (Abb. 1) und allen 29 niederösterreichischen Standorten an. Eine Ausgleichskurve in Form einer Regressionsgerade durch diese Werte bildet die Entwicklung der minimalen 2-Tagesmittelwerte der Lufttemperatur über die letzten 30 Jahre gut ab. Der jährliche Anstieg der Jahresminima der 2-Tagesmittelwerte (ΔTmin2d/a) lag in den 30 Orten zwischen 0,109 und 0,213 K/a mit einem Mittelwert von 0,183 K/a (siehe Tab.1).
Die jährlichen Tagestemperaturminima stiegen zwischen 1995-2024 in den 30 Orten im Mittel mit 0,194 (±0,055) K/a viel rascher an als die Jahresmitteltemperatur 0,078 (± 0,013) K/a (t-Test p<0,001) und die höchste Tagesmitteltemperatur des Jahres 0,057 (± 0,024) K/a.
Zur Illustration wurde die kumulative Verteilung der 2-Tagesmitteltemperaturen über alle 30 Standorte gemittelt (Abb. 2). Die letzten beiden 5-Jahressegmente weisen eine deutliche Verschiebung hin zu höheren Temperaturen im Bereich der Minusgrade auf.
In Tab. 1 werden die Ergebnisse der entsprechenden Analysen für alle 30 Orte dargestellt.
Die Tne_kek weicht um +5,34 K von der Tne gemäß OIB RL6 Excel von -12,5 °C ab. Für alle 30 Orte ist Tne-kek -8,1 °C und damit im Mittel 5,8 K höher als die Tne nach OIB RL6 2015 die im Mittel bei -13,9 °C lag. Details zu den 30 Orten siehe Tab.1
Die Temperaturdifferenz zwischen Tne und der vereinfachenden Soll-Innentemperatur Ti von 20 °C ist klimaerwärmungskorrigiert damit im Mittel aller 30 Orte um -16,9% (±3,6%) reduziert, wodurch die Heizlast als Grundlage für die Leistungsbemessung der Heizungsanlage entsprechend reduziert wird.
Klimakorrigierte Daten für realistischere Heizlastberechnungen
Wir haben eine dynamische Methode zur Berechnung einer klimaerwärmungskorrigierten Normaußentemperatur vorgestellt, die die Logik der ÖNORM EN 12831 (2003) aufgreift, aber den Fehler der Unterschätzung der Normaußentemperatur, der sich aus der statischen Definition ergibt, eliminiert.
Stärken
Wenngleich sich die aus der Klimaerwärmungskorrektur ergebenden Einsparungen bei den Investitionskosten im Mittel im einstelligen Prozentbereich bewegen dürften, ist der Nutzen angesichts der Größenordnung der gesellschaftlichen Herausforderung für die energetische Sanierung bedeutsam, weil sie die Zahl mittelfristig wirtschaftlich rentabler Sanierungsprojekte sowie die Reichweite der Fördertöpfe und somit die Geschwindigkeit der Dekarbonisierung der Wärmebereitstellung steigern dürfte. Angesichts des begrenzten CO2-Budgets für die erklärten Klimaziele ist diese raschere Umsetzung erfolgsentscheidend.
Der erforderliche Aufwand für eine jährlich überarbeitete klimaerwärmungskorrigierte Berechnung der Normaußentemperatur für jeden Ort in Österreich wäre auf Basis der Lufttemperaturmesswerte der jeweils letzten 20 Jahre minimal. Die für Energieausweise und Heizlastberechnungen zumeist verwendeten Softwarepakete können diese dann automatisch abrufen. Eine dynamische Gebäudesimulation zur Bestimmung der Heizlast auf Basis von realen lokalen Klimadaten, inneren und solaren Gewinnen wird noch genauere und vermutlich geringere Heizlasten liefern, ist jedoch auch kostspielig.
Die klimaerwärmungskorrigierte Normaußentemperatur eines Ortes würde sich wie die Simulation zur Heizlastbestimmung jährlich etwas ändern, das ist für ein Sanierungs- oder Bauprojekt, das für einen bestimmten Zeitpunkt geplant wird, jedoch irrelevant.
Bei korrekter Berechnung der Transmissions- und Lüftungsleitwerte besteht kein Risiko einer Unterdimensionierung. Die klimaerwärmungskorrigierte Normaußentemperatur wurde in Wien Hohe Warte in 30 Jahren nur einmal um mehr als 2 K (und zwar um 2,8 K im Jahr 2006) unterschritten (Abb. 1). Bei einer Soll-Innentemperatur für Aufenthaltsräume von 20 °C in Österreich würde die Innentemperatur damit höchstens einmal in 30 Jahren auf 17,2 °C im 2-Tagesmittel abfallen, falls interne und solare Gewinne bereits korrekt berücksichtigt wurden. Die Unterschreitungen der Soll-Innentemperatur bei relativen Kälteperioden außerhalb der Heizperiode sind sicher tiefer und weit häufiger. Bei fortlaufender Klimaerwärmung werden diese vereinzelten leichten Unterschreitungen in der Heizperiode zudem im Laufe der Lebensdauer der Heizungsanlage völlig verschwinden.
Wir konnten erstmals für 30 ostösterreichische Standorte zeigen, dass die klimaerwärmungskorrigierte Normaußentemperatur 2,5-mal schneller steigt als die mittlere Lufttemperatur. Eine mögliche Ursache liegt in der durch die Klimaerwärmung sinkenden Fläche der Schneedecke (Andre 2019) und den dadurch steigenden solaren Energieeintrag im Winter durch die sinkende Albedo. Für diese Annahme spricht, dass der beschleunigte Anstieg der minimalen Tagesmitteltemperaturen über 30 Orte gemittelt weitgehend auf die schneereicheren Monate Dezember-Februar beschränkt ist.
Limitationen
Bei der Auswahl des 30-jährigen Zeitfensters der Temperaturdaten wurde ein Kompromiss zwischen statistischer Stabilität durch einen möglichst großen Datensatz und Beschränkung auf die lineare Phase des Temperaturanstiegs in Österreich (Olefs 2021) ab ca. 1990-1995 gesucht. Bei Verwendung eines 20-jährigen Zeitfensters verändert sich die Normaußentemperatur für Wien, Hohe Warte 2025 nur minimal, sodass dies eine sinnvolle Alternative darstellt.
Es wurden nur Lufttemperaturdaten von 30 geographisch benachbarten und klimatisch ähnlichen Standorten analysiert. Eine Validierung der Ergebnisse an allen österreichischen Orten und damit Klimazonen ist in Arbeit.
Empfehlungen
Wir schlagen daher eine zeitnahe Umstellung der Berechnung der Normaußentemperatur von der statischen auf die hier dargestellte klimaerwärmungskorrigierte Methode durch das österreichische Normungsinstitut (ASI) mit jährlichen Updates vor.
LITERATUR
Andre K., Koch R., Olefs M. (2019) Analyse von Schneemessreihen des HD Tirol – Vergangenheit. Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, Wien, Österreich https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/umwelt/wasserkreislauf/Studien/Report__FuSE__HD_Tirol_red.pdf
Fröch G. (2024) Bauen außerhalb der Norm – Praxisbeispiele. iBT Universität Innsbruck 17.10.2024 https://www.zukunft-bau.at/sites/default/files/dateien/inhalt/bauen-ausserhalb-der-norm-praxisbeispiele-einparungen-quelle-uni-innsbruck_1.pdf
Grim-Schlink M., Preisler A., Stipsits A. (2021) Heizlast optimieren - Studie: Strategie zur Vermeidung von Überdimensionierung bei Wärmepumpen. Online-Publikation Wien Magistratsabteilung 20, Energieplanung, e7 energy innovation & engineering,
Kraft, A., Gratzl, M., Reiter, T. (2020) Evaluierung des Einflussfaktors Fensterlüftung in der Nachweisführung sommerlicher Überwärmung im Wohnbau. Proceedings of BauSim Conference 2020: 8th Conference of IBPSA-Germany and Austria 8: 241--248 ISBN 978-3-85125-786-1
Marsik, T.; Stevens, V.; Garber-Slaght, R.; Dennehy, C.; Strunk, R.T.; Mitchell, A. Empirical Study of the Effect of Thermal Loading on the Heating Efficiency of Variable-Speed Air Source Heat Pumps..Sustainability 2023.
Österreichisches Normungsinstitut (2003) ÖNORM EN 12831 Heizungsanlagen in Gebäuden, Verfahren zur Berechnung der Norm-Heizlast, Wien: Österreichisches Normungsinstitut.
OIB (2015) OIB RL 6 Normaußentemperaturen 16. Juni 2015 https://www.oib.or.at/wp-content/uploads/richtlinien/richtlinie_2023/oib-rl_6_normaussentemperaturen.pdf Österreichisches Institut für Bautechnik (OIB)
Olefs M., Formayer H., Gobiet A., Marke T., Schöner W., Revesz M. (2021) Past and future changes of the Austrian climate – Importance for tourism. Journal of Outdoor Recreation and Tourism 34, 100395.
Statistik Austria (2023) MZ Energieeinsatz der Haushalte. Erstellt am 11.10.2023. Statistik Austria https://www.statistik.at/statistiken/energie-und-umwelt/energie/energieeinsatz-der-haushalte
Kontakt:
Dr. Andreas van Egmond-Fröhlich
Verein Klimadörfl
Zwillinggasse 1, A 1190 Wien
Tel. +43 650 6455250
a.vanegmondfroehlich@gmail.com
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