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Grünphasen

Zahlreiche Studien zeigen, dass Begrünungen in dicht verbauten Gebieten, aber auch bei freistehenden großflächig verglasten Gebäuden, einige Probleme deutlich abmildern und neue Aussichten eröffnen. Forschungsprojekte am IBO schaffen Grundlagen für die praktische Umsetzung und die Berechnungsmethoden für die Berücksichtigung im Energieausweis und in der Planung.

ForschungBehaglichkeitMessung & MonitoringPublikation

Grüne Infrastruktur ermöglicht bspw. durch Verdunstungskühlung, Verschattung, Reduktion der Windgeschwindigkeit, verbessertes Mikroklima etc. das energetische Optimierungspotential neben baulichen und haustechnischen Maßnahmen auszuweiten. Vor allem hinsichtlich der zu erwartenden erhöhten Temperaturen aufgrund des Klimawandels ist es unabdingbar, alle verfügbaren Möglichkeiten zu nutzen. Zusätzlich bietet das Begrünen der Gebäudehüllen auch Habitate für Flora und Fauna, hält Wasser in der Stadt für Kühlungszwecke zurück, erhöht die Lebensdauer der Gebäudehüllen und verbessert das Wohn- und Arbeitsumfeld der Menschen.

Supermärkte und andere erdgeschossige Gewerberäume ziehen oft mit Glasfassaden Blicke auf sich, außerdem verbessert der Tageslichteinfall die Raumlichtsituation. Damit der Blick auf die Verkaufsfläche frei bleibt, wird in der Regel auf Außenbeschattungen verzichtet. Dies führt vermehrt zur sommerlichen Überhitzung in den Gebäuden, ungünstig einerseits für frisches Obst und Gemüse und andere wärmeempfindliche Waren wie etwa Schokolade und andererseits für die thermische Behaglichkeit von Mitarbeiter:innen und Kund:innen.

Regulierung von Klima, Energiebedarf und Wohlbefinden in GLAS-Verbauten durch bautechnisch integriertes, vertikales GRÜN

Eine vorgesetzte Begrünung löst diese Probleme elegant: Das Glas wird beschattet, es muss weniger gekühlt werden, der Ausblick wird schöner, die Biodiversität erhöht. Was in der Theorie einfach klingt, wird im Forschungsprojekt GLASGrün in der praktischen Umsetzung untersucht.
Wissenschafter:innen gemeinsam mit Archtekt:innen, dem Innovationslabor Grün statt Grau und einer Supermarktbetreiberin entwickeln vertikale Begrünungsvarianten zur Bestandsergänzung, zur Bestandssanierung und für den innerstädtischen Neubau.
Sommergrüne Pflanzen werden zur nachträglichen Außenverschattung eingesetzt, getestet und evaluiert. Dabei sollen die vegetationstechnischen als auch statischen Herausforderungen gelöst und übertragbare Standardvarianten entwickelt werden. GLASGrün wird quantitative Daten zu Energie-, Temperatur- und Mikroklimahaushalt vor und nach der Intervention generieren und es werden erstmalig fundierte sozialwissenschaftliche Erhebungen zu Akzeptanz und Wahrnehmung umgesetzt.

Beim ersten Demoobjekt handelt es sich um eine Filiale von MPREIS in Tirol, die in einem mehrstufigen Verfahren aus 250 Märkten ausgewählt wurde. Ein hoher Glasanteil der Fassade, damit eine hohe thermische Belastung der Nutzer:innen zusätzlich zu den inneren Lasten durch Aufbacköfen, Industriegeschirrspüler etc., nicht automatisierte, in die Jahre gekommene Beschattungen innen und außenliegend, eine Klimaanlage, die aufgrund der Zuglufterscheinungen ungern genutzt wird, die Möglichkeit nächtlicher Querlüftung, die ebenfalls nicht genutzt wird, brachten die besten Voraussetzungen für ein Testobjekt.
Zunächst wurde der Sonnenverlauf mit einem animierbaren 3D Modell nachgestellt um für die Projektbeteiligten eine Diskussionsgrundlage zu schaffen und die Problemstellung zu veranschaulichen. In den Sommermonaten kommt es bereits in den frühen Morgenstunden zu einem hohen solaren Eintrag, der aufgrund fehlender automatisierter Beschattung unzureichend abgefangen wird. Das IBO hat im Innenraum an 7 Positionen Sensorik zur Überwachung der Raumlufttemperatur und -feuchtigkeit installiert. Zusätzlich wird der Stromverbrauch der Klimaanlage erfasst. Um den Einfluss der hohen inneren thermischen Lasten auszuschalten, wurde zusätzlich ein thermodynamisches Simulationsmodell erstellt. Damit und mit den von der BOKU erfassten Messdaten zur Transmissivität wird die Wirkung mit und ohne Begrünung errechnet.
Als Begrünung kommen trog- und bodengebundene Systeme zum Einsatz und im Falle von Demonstrationsprojekt 1 (M-Preis-Filiale Söll) auch unterschiedliche Rankgitter (architektonisch anspruchsvoll und low budget Variante). Zusätzlich kommen am genannten Standort auch in vordefinierten Bereichen mehrere Pflanzen zum Einsatz (z.B. Blauregen, Hopfen etc..), deren Wachstum und Einfluss z.B. auf den Strahlungsdurchgang untersucht wird.

Das zweite Demoobjekt befindet sich in Wien 1180, wurde ursprünglich als Friseursalon genutzt und beherbergt mittlerweile ein technisches Büro mit 11 Arbeitsplätzen. Trotz Klimaanlage und Kühldecke stellt sich jedoch kein behagliches Raumklima ein. Eine außenliegende Beschattung fehlt, die Exposition der rund 20m² großen Fassade ist SSW, es kann nicht quergelüftet werden. Die Kosten für eine außenliegende Beschattung bzw. Begrünung würden in etwa die gleiche Investition erfordern. Die Installation des Rankgitters und der Begrünung erfolgt 2023. [2]

Anhand der zwei Demonstrationsobjekte erarbeitet das GLASGrün-Team Leitfäden zu konstruktiven Lösungen, Einreichprozessen und Pflege- und Erhaltungsmanagementplänen für die in Frage kommenden Systeme und für die getesteten vertikalen Grünvarianten. Die Ergebnisse sind skalier- und übertragbar und bilden eine ökonomische Grundlage für künftige Adaptierungen weiterer Gebäude sowie für deren Erhaltung.
Das IBO wird für dieses Projekt die Behaglichkeit vor und nach der Begrünung (ÖNORM EN 16798-1, Nachfolgenorm der EN 15251) sowie den Kühlenergiebedarf mit thermischen Gebäudesimulationen berechnen und bewerten.

Begrünungen tragen aber nicht nur zur unmittelbaren Verbesserung von Arbeitsplätzen bei, sie helfen auch Ziele zu erreichen, die die EU zur Bekämpfung der Klimakrise gesetzt hat.
„Flaggschiff“ des europäischen „Green Deals“ sind Gebäude und deren Renovierung. Zentrales Ziel ist die Verdoppelung der Sanierungsrate von Gebäuden, in Österreich soll eine Sanierungsrate von 3 % erreicht werden, wie im neuen Klima- und Energieprogramm festgeschrieben. Aktuelle Klimawandelanpassungsstrategien erfordern eine Zunahme der Gebäudebegrünung im Bestand und an Fassaden.
Normen und besonders die gerade entstehende neue EU-Gebäuderichtlinie (EPDB) definieren bereits den Weg „Grüne Infrastruktur GI“ in die neuen Bestimmungen aufzunehmen. Damit müssen die EU Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass "neue Gebäude ... sich an den Klimawandel anpassen, unter anderem durch eine grüne Infrastruktur ..." (Artikel 7 Absatz 4). Die Umweltziele der EU-Taxonomie-Verordnung fordern in der sechsten Säule den Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität, Begrünung an den Gebäuden kann dazu gezählt werden.
Doch für zeitgemäße Gebäudestandards liegen immer noch keine vergleichbaren Daten über die Auswirkungen von Fassaden- und Dachbegrünung vor. Derzeit fehlt es an einer validen Datengrundlage, sowie an standardisierten Prüfverfahren, und Kennwerten die es ermöglichen, den Einfluss von Begrünungsmaßnahmen auf Gebäude, z.B. anhand des Energieausweises, zu quantifizieren und zu vergleichen. Hier setzt das Forschungsprojekt MARGRET – Messtechnische Erfassung begrünter/nicht begrünter Objekte zur Adaptierung von Berechnungsmodellen – an, das im Oktober 2023 beginnen wird. Leadpartner IBO wird bei der Erstellung von Empfehlungen zur Adaptierung von Berechnungsmodellen bzw. Normen die Erfahrungen aus Normenausschüssen und Kompetenzen der Mitarbeiter:innen aus den Bereichen Bauphysik einbringen.
Dazu werden Begrünungen an Objekten mit zeitgemäßen Gebäudestandards und unter einheitlichen Rahmenbedingungen gemessen. Zum Einsatz kommen dabei zwei thermisch entkoppelte Räume mit identen Fassadengrößen und Öffnungen der AEE INTEC Fassadenprüfbox als begrüntes und nicht-begrüntes Referenzobjekt. Die geplanten Untersuchungen fokussieren in erster Linie auf die Effekte unterschiedlicher Fassadenbegrünungsarten. Zusätzlich wird ein Teil der Dachterrasse temporär begrünt, um die Effekte eines Gründaches im Vergleich zu einem nicht begrünten Dach auf den Innenraum messtechnisch zu erfassen. Die Fassadenflächen können der Sonne nachgeführt werden und ermöglichen damit Untersuchungen in mehreren Expositionen.
Mit den im Projekt durchgeführten Messungen an begrünten und nicht begrünten Objekten werden Empfehlungen für standardisierte Mess- und Prüfverfahren erstellt. Als weiterer Schritt werden Vorschläge zur Bestimmung relevanter Kenngrößen und zur Weiterentwicklung von Berechnungsmodellen und –verfahren erbracht. Die Ableitung geeigneter Kennwerte soll die Implementierung von Gebäudebegrünung in die relevanten Normen bzw. Berechnungsmodellen (z.B. Energieausweis) vorantreiben. Diese Messverfahren und Messdaten werden in Datenkatalogen zusammengefasst und öffentlich zugänglich gemacht, sodass die Begrünung besser planbar werden wird.
Schon im Sommer 2023 wird im Rahmen des Forschungsprojektes HEDWIG an 6 repräsentativen bauwerksbegrünten Objekten mit heterogenen Altersstrukturen und unterschiedlicher Nutzungstypen mit Dauermessungen begonnen. Über zwei Jahre hinweg werden mikroklimatische und bauphysikalische Daten wie Lichtdurchlässigkeit von Kletterpflanzen, Wärmestrom durch Dachbegrünungsaufbauten oder thermischer Komfort im Innenraum erfasst. An neuen weiteren Standorten erfolgen Messkampagnen über kürzere Zeitspannen. Dadurch wird es möglich, Standardkennwerte für Grüne Infrastruktur-Typologien zu entwickeln und auf Planungen und Umsetzungen zu übertragen. Dies wird durch thermische Gebäudesimulationen ergänzt und unterstützt.
Für die Datenauswertung wird ein standardisierbares Verfahren entwickelt, um standortübergreifende Vergleiche zu ermöglichen. Damit sollen periodisch auftretende Effekte sowie begünstigende und störende Einflussfaktoren identifiziert und berechenbar gemacht werden.
Neue Erkenntnisse werden insbesondere darüber erwartet, welchen mikroklimatischen Einfluss Grünkörper durch Bauwerksbegrünungen an der Gebäudehülle und damit auch im Innenraum ausüben. Es wird angestrebt, auch mikroklimatische Wirkungen für den angrenzenden Straßenraum und städtischen Bereich abzuschätzen.

GLASGrün Klima, Energie und Wohlbefinden regulieren

BOKU Wien, Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau (Projektleitung)
Projektbeteiligte: MPREIS Warenvertriebs GmbH, lichtblauwagner architekten generalplaner ztgmbh, IBO - Österreichisches Institut für Bauen und Ökologie GmbH, GRÜNSTATTGRAU Forschungs- und Innovations GmbH, RATAPLAN-ARCHITEKTUR ZT GMBHD BOKU-IBLB, IBO, RED Bernard GmbH, GRÜNSTATTGRAU
2021–2024

MARGRET

Messtechnische Erfassung begrünter/nicht begrünter Objekte zur Adaptierungen von Berechnungsmodellen. Start Oktober 2023 – Laufzeit 24 Monate
IBO Projektlead, Partner AEE INTEC (Versuche, Fassadenprüfbox), BOKU (Qualitätsmanagement Pflanzen), Grünstattgrau (Ver-
netzung, Dissemination)

HEDWIG

LEAD BOKU-IBLB, IBO, RED Bernard GmbH, GRÜNSTATTGRAU
Start Oktober 2022, Projektlaufzeit 36 Monate

 

[1] Baguette Cafe Bistro Bäckerei | Söll | Dorf 140
Hoher Anteil an Glasfassade, Testobjekt für M-Preis, thermische Belastung zusätzlich zu hohen inneren Lasten (Aufbacköfen, Industriegeschirrspüler etc.)

[2] Bürogebäude Kreuzgasse, 1180 Wien
Objekt 20 Jahre alt, verfügt über rd. 20 m² Glasfassade SSW orientiert, hohe Temperaturen im Sommer, kein außenliegender Sonnenschutz, keine Möglichkeit der Querlüftung.

Kontakt

Innenraum der MPREIS Filiale Söll vor Installation des Rankgerüstes, Temperatur und Feuchtesensoren wurden an mehreren Messpunkten installiert und der Stromverbrauch der Klimaanlage wird überwacht. Foto ©: IBO
Rankgerüste montiert, erster Bewuchs, Foto ©: MPREIS
Demoobjekt in 1180 Wien, Rendering ©: lichtblauwagner
Verschattung im Straßenzug, © IBO
Vergleich der Simulationsdaten mit Messdaten – work in progress, Grafik ©: IBO