Potenzial des Gebäudebestands
In Österreich gibt es rund 2,08 Mio. Gebäude, wovon etwa 10 % als Büro genutzt werden – ein breites Anwendungsgebiet für thermische Sanierungen. Verordnungen und Richtlinien basierend auf der Österreichischen Gebäuderenovierungsstrategie, dem Klimaschutzgesetz sowie der Entscheidung Nr. 406/2009 EG befördern Sanierungsmaßnahmen. Damit soll Energie eingespart, mehr erneuerbare Energieträger eingesetzt und die Gesamtenergieeffizienz im Gebäudebereich deutlich erhöht werden. Trotz einer leichten Steigerung der thermischen Sanierungsrate konnte das in der Klimastrategie gesetzte Ziel eines Anstiegs um 3 % noch nicht erreicht werden. Vielleicht kann die in Überarbeitung befindliche Energieeffizienzrichtlinie hier eine Veränderung erwirken. Jedenfalls steigt der Druck, sei es durch die EU-Taxonomieverordnung oder die neue Bauprodukte Verordnung.
Detailliert in ibo-magazin-artikel/entwicklungen-in-der-thermischen-sanierung
Best Practice – Sanieren im denkmalgeschützten Bestand
Bei der thermischen Sanierung der beiden Bürogebäude aus der Wiener Gründerzeit-Epoche (Reichsratsstraße 1 und 9) wurde der Prozess der Generalsanierung durch das klimaaktiv Gebäudezertifizierungssystem mit Zielstandard Gold begleitet. Durch die baubegleitende Qualitätssicherung der applizierten Innendämmung wurde die Qualität der Sanierung sichergestellt. Eine hohe Multiplizierbarkeit der Projektergebnisse, also eine effiziente Übertragbarkeit auf andere Sanierungsprojekte kann so erreicht werden. Auf diese Weise können die ambitionierten Ziele der Klimastrategie erfüllt und die Sanierungsrate gesteigert werden und Gebäudesanierungen im Sinne der EU-Taxonomie umgesetzt werden. Um dauerhaft und qualitativ hochwertig zu sanieren und Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft zu fördern, ist es unerlässlich beim Bauen im Bestand die Projektbegleitung zu unterstützen. D.h. über die reine Planung von Maßnahmen hinausgehend, diese in der Umsetzung zu begleiten und auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren zu können und ggf. offene Punkte aus der Planung abzuklären oder näher zu spezifizieren.
siehe auch: klimaaktiv-gebaut.at
Projektbegleitung Sanierung
Die Projektbegleitung einer Sanierung ist ein komplexes Thema, bei dem viele Faktoren beachtet werden müssen. Durch die professionelle Begleitung können vor allem langfristig hohe Einsparungen beim Energiebedarf und ein komfortables Büroklima erreicht werden. Im ersten Schritt erfolgte die Abklärung der Planungsziele mit dem Projektkonsortium und dem Bundesdenkmalamt. Anschließend wurde auf Basis umfangreicher Variantenstudien ein Maßnahmenkatalog für die Sanierung erstellt, bei dem die Steigerung der Energieeffizienz und Nachhaltigkeit im Vordergrund steht. Dazu gehören die Berechnung der Gebäudeenergiekennzahlen und eine Potenzialanalyse.
Eine detaillierte Machbarkeitsstudie der Innendämmung wurde ebenfalls durchgeführt bei der der Wärme- und Feuchteschutz, die Art des Dämmsystems (mit/ohne Dampfbremse), Verarbeitung, Ökologie, Installationen und Anschlüsse unter die Lupe genommen wurden. Dazu wurden hygrothermische Simulationen, Wärmebrückenberechnungen, Amortisationsrechnungen und der thermische Komfort untersucht. Im Zuge dessen ist die Nachweisführung des Wärme- und Feuchteschutzes erfolgt. Anhand der Ergebnisse von Schritt 1 bis 5 wurde dann eine klimaaktiv-Potenzialanalyse durchgeführt.
Sanierungsmaßnahmen
Vor dem Hintergrund der Energieeffizienz und darüber hinausgehenden Anforderungen aus der Gebäudezertifizierung wurden umfangreiche Variantenstudien zu Maßnahmen und Kombinationen durchgeführt, mit dem Ziel sowohl technisch, wirtschaftlich, und ökologisch die optimale Lösung umzusetzen. Als Ergebnis wurden in den beiden Projekten u.a. die Kastenfenster erneuert und thermisch ertüchtigt. Die Außenwände wurden thermisch saniert, wobei aufgrund der strukturierten Fassade und des Denkmalschutzes eine Innendämmung appliziert wurde. Weiters wurden die haustechnischen Anlagen (Lüftungsanlage, Wasserversorgungsleitungen und Warmwasseraufbereitung) erneuert.
Auswahl und Bemessung Innendämmung
Bei der Auswahl des Innendämmsystems stand neben ökologischen Aspekten hinsichtlich der Materialwahl und der Steigerung von Energieeffizienz und thermischem Komfort die Gebrauchs-tauglichkeit im Fokus. D.h. die dauerhaft schadensfreie Funktionstüchtigkeit der Innendämmung selbst, aber auch einbindender Holzbauteile muss gewährleistet werden. Die Bemessung der Dämmdicke erfolgte dann in Hinblick auf die in Bauordnung und Zertifizierung definierten bauteil- und gebäudebezogenen Zielvorgaben. Da bereits im Bestand eine Vorsatzschale zur Führung von Installationen vorlag, wurde dieses – für Büronutzung typische und praktische – Konzept beibehalten.
Obgleich mit Innendämmsystemen mit raumseitiger Dampfbremse grundsätzlich höhere Dämmstandards erreicht werden können, wurde in diesen Projekten ein Innendämmsystem ohne Dampfbremse ausgeführt. Die 10 cm dicke Mineralschaumdämmplatte wurde vollflächig geklebt auf das Mauerwerk aufgebracht. Die Installationsebene mit 5 cm wurde raumseitig davorgesetzt, wobei diese über Stahlwinkel an der Bestandswand montiert wurde. Die Winkel wurden thermisch mit 2 cm Purenit von der Bestandswand entkoppelt. Die Leibungen, in denen die Wanddicke in der Regel deutlich geringer ist als im ungestörten Wandbereich, wurden gesondert betrachtet, konnten dann aber – nach detaillierter Prüfung und Festlegung der Projektrandbedingungen – ebenfalls mit 10 cm dicker Innendämmung ohne Dampfbremse ausgeführt werden.
Bei den wenigen noch vorhandenen Holzbalkendecken wurde die Dämmung nur bis auf die Höhe der abgehängten Decke geführt und damit im Bereich der Holzbalkenköpfe bewusst thermische Verluste in Kauf genommen. So können im Bereich der Balkenköpfe kritische Temperatur- und Feuchtezustände ausgeschlossen werden. Bei den Stahlbetonrippen bzw. Eisenbetonrippendecken wurde die raumseitige Dämmung stumpf gestoßen. Eine Flankendämmung an der Deckenunterseite bzw. an einbindenden Innenwänden war bauphysikalisch hinsichtlich der Vermeidung kritischer Oberflächentemperaturen und Risiko von Schimmelbildung nicht erforderlich und kam deshalb nicht zur Ausführung.
Die Wahl eines feuchtetolerierenden, diffusionsoffenen, kapillar leitfähigen Innendämmsystems wird grundsätzlich als fehlertoleranter eingestuft, da die aufwändigen und gewissenhaft auszuführenden Anschlüsse der Dampfbremse an die anschließenden Bauteile (Holzbalken, Innendwände, ...), aber auch bei jeder vorhandenen Durchdringung (Montagewinkel Vorsatzschale, Verrohrungen, Kabel, Absturzsicherungen, ...), entfallen. Die Verarbeitung erfolgt entsprechend der Verarbeitungsrichtlinie des Systemanbieters, bzw. angelehnt an die Richtlinien für außen applizierte Wärmedämmverbundsysteme.
Qualitätssicherung Innendämmung
Um objektspezifisch auf im Bauablauf auftretende weiterführende Fragestellungen – wie dies bei Sanierungen die Regel ist – rasch reagieren zu können, wurde bei der Applikation der Innendämmung die Örtliche Bauaufsicht durch eine „baubegleitende Qualitätssicherung Innendämmung“ unterstützt. Dazu gehörten die Beurteilung des Musterzimmers, regelmäßige Objektbegehungen zur Qualitätssicherung Innendämmung ca. alle 2 Wochen sowie ein baubegleitendes Feuchte-Monitoring. Wobei sich das Feuchte-Monitoring nicht auf die Innendämmung, sondern auf in der Bauphase eingebrachte Baufeuchte und die Vermeidung von ungünstigen, zu Schimmel an Oberflächen führenden Feuchtezuständen bezog.Da die Applikation der Innendämmung raumseitig erfolgte, ist man grundsätzlich etwas unabhängiger von den klimatischen Randbedingungen (Abbildung 3) als bei außen zu applizierenden Wärmedämmungen. Ungeachtet dessen sind die vorgegebenen Grenzwerte hinsichtlich der Verarbeitung zu beachten. Die Ausführung der Innendämmung in der kalten Jahreszeit erlaubte eine Qualitätssicherung via Thermografie mit welcher insbesondere der luftdichte Anschluss ans Fenster beurteilt werden konnte. Abbildung 5 und Abbildung 6 zeigen beispielhaft die durch einströmende kalte Luft reduzierten Oberflächentemperaturen in Bereichen wo der luftdichte Anschluss mangelhaft ausgeführt wurde und nachgebessert werden musste.Die Applikation hoher raumseitiger Dämmdicken wie bei diesem Objekt erfordert einen ausreichenden Schlagregenschutz der Fassade. Die Putzfassade wurde gewissenhaft überarbeitet bzw. erneuert (Abbildung 4).
Da die Einbringung neuer Estriche bzw. feuchteintensiver Maßnahmen im gegenständlichen Projekt nur punktuell erfolgte, konnte das baubegleitende Feuchte-Monitoring mit einer Hand voll Datenloggern sehr schlank gehalten werden. Im Zuge der Bauablaufplanung wurden ggf. kritische Räume bzw. Raumverbände identifiziert und mit Datenloggern zur Messung von Raumluftfeuchte und Raumlufttemperatur ausgerüstet (Abbildung 9). Zur Beurteilung wurden, je nachdem wo der Datenlogger appliziert wurde (Raummitte oder Bauteiloberfläche), Grenzwerte definiert, ab denen Maßnahmen (Heizen, Lüften oder Entfeuchten) zur Reduktion der Feuchtelasten im Raum zu ergreifen waren. Als Grenzwert für die Raumluftfeuchte wurden 55 % rel. Feuchte, als Grenzwert für die Bauteiloberflächen max. 70 % rel. Feuchte definiert. Abbildung 10 zeigt eine kritische Feuchtespitze die durch Anhebung der Raumlufttemperatur wieder abgesenkt wurde.
Ausführungsqualität
Die Überprüfung der Ausführungsqualität wurde in enger Kooperation mit der Örtlichen Bauaufsicht durchgeführt. Ziel war es Mängel und Fehler zu erkennen, aber auch die Verarbeiter:innen einzubinden, zu informieren und zu unterstützen. Obgleich gerade zu Beginn die fachgerechte Verarbeitung der Innendämmung einige Wünsche offen gelassen hatte und Teilbereiche entsprechend nachgebessert werden mussten, ist es schlussendlich gelungen die Motivation und damit auch die Qualität über die Projektlaufzeit hoch zu halten. Nach erfolgreicher Applikation des Gewerks Innendämmung ist es wesentlich dieses vor Beschädigung durch andere Gewerke zu schützen und aufbauende bzw. angrenzende Gewerke entsprechend einzubinden bzw. zu informieren.
Gebäudezertifizierung – klimaaktiv Gold
Aufbauend auf der Bestandserhebung und Abklärung Planungsziele Maßnahmenkatalog Sanierung insbesondere im Hinblick auf Steigerung der Energieeffizienz (thermische Sanierung) und der Berechnung der Gebäudeenergiekennzahlen, einer Potenzialanalyse, einer Machbarkeitsstudie Innendämmung mit hygrothermischer Simulation, Wärmebrückenberechnung, Amortisationsrechnung und Beurteilung des thermischen Komforts, und der erforderlichen Nachweisführung Innendämmung (Feuchteschutz) wurde eine klimaaktiv-Potenzialanalyse durchgeführt. Zwei Jahre, unzählige Diskussionen und Abstimmungsbesprechungen später, dann das bestätigte Ergebnis – zwei Gebäude im klimaaktiv Standard Gold, ausgezeichnet für das Engagement im Klimaschutz.
https://www.klimaaktiv-gebaut.at/gebaut/objekte/all/reichsratsstrae-1/
https://www.klimaaktiv-gebaut.at/gebaut/objekte/all/reichsratsstrae-9/
Bewertung in der Gebäudenutzung
Nach Inbetriebnahme werden die beiden sanierten Gebäude durch „klimaaktiv in der Gebäudenutzung“ begleitet. Dabei wird aufbauend auf den Energiebedarfsberechnungen die Nutzung des Gebäudes optimiert, indem die energetische Qualität anhand des realen Energieverbrauchs bewertet wird. Der systematische Vergleich des Bedarfs mit dem Verbrauch ermöglicht Mehrverbräuche rasch zu erkennen und darauffolgend die Ursachen zu analysieren und zu beseitigen. Weiters erfolgt eine Beurteilung des thermischen Komforts durch Behaglichkeitsbewertung gem. EN 16798-1 für Komfort und Raumluftqualität über die Dauer von 2 Jahren. Das Monitoring erfolgt entsprechend Vorgaben Kriterienkatalog „klimaaktiv in der Gebäudenutzung“ im angestrebten Standard klimaaktiv Gold Plus (über 2 Jahre). Die Erhebung von Raumlufttemperatur, -feuchtigkeit und CO2-Konzentration erfolgt anonymisiert und verschlüsselt in eine Cloud (EU Server) zur Möglichkeit der Echtzeitablesung. Darüber hinaus wird die Zufriedenheit mit dem Raumluftklima und -qualität via Befragung erhoben.
Resümee
Um dauerhaft und qualitativ hochwertig im Sinne der EU-Taxonomie zu sanieren und Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft zu fördern, ist eine projektbegleitende Unterstützung über die reine Planung von Maßnahmen zur thermischen Ertüchtigung - insbesondere beim Bauen im Bestand - erforderlich. Eine Beurteilung hinsichtlich der eingesetzten Bauprodukte im Sinne eines Produktmanagements ist dabei unerlässlich um verbotene, gesundheits- oder umweltschädliche Produkte zu identifizieren und auszuschließen und den Fokus auf kreislauffähige Bauprodukte zu legen. Die beiden Gebäude in der Reichsratstraße sind mit dieser vorbildlichen Sanierung nun für viele Jahre zukunftsfit.