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Energieflexible Plusenergiequartiere
Möglichkeiten und Grenzen des netzdienlichen Betriebs von Gebäuden

Laut aktuellem Programm der österreichischen Bundesregierung soll der Energiebedarf in Österreich 2040 allein aus erneuerbaren Energieträgern gedeckt werden. Die Energieversorgung des Gebäudesektors wird auch in einem zu 100 % aus erneuerbaren Ressourcen versorgten Gesamtsystem einen relevanten Anteil beanspruchen. Da die zukünftige Energieversorgung stark elektrisch sein wird und vor allem aus hochvolatilen Quellen wie Wind und Sonne bestehen wird, ist eine Flexibilisierung der Energienachfrage günstig, um hohe saisonale Speicherkapazitäten zu vermeiden. In diesem Beitrag werden erste Ergebnisse zu den energetischen Potentialen eines netzdienlichen Betriebs von Gebäuden in unterschiedlichen Bauweisen, Wärmeabgabesystemen gegeben, wobei auf die Wechselwirkung mit dem Komfort unter dynamischen Bedingungen ein besonderes Augenmerk gelegt wird.Ein Vortrag von Thomas Zelger beim BauZ! Kongress 2021.

Passivhaus & Plusenergie GebäudeKongress/Symposion/Messe

100% erneuerbare Energieversorgung Österreich

Für eine zu 100% erneuerbare Energieversorgung in Österreich liegt eine Reihe von Studien vor, die in den letzten 10 Jahren publiziert wurden und durchgehend umsetzbare Szenarien abbilden (Abbildung 1a und 1b). Für die hier dargestellten Ergebnisse wird auf [Streicher 2011] aufgesetzt, wobei das Szenario 0,8 % Wachstum mit den Mobilitätsannahmen im Transitionszenario des Umweltbundesamtes [UBA 2017] adaptiert wird, zudem das angesetzte geothermische Potential in Anlehnung an die rezentesten Studien nicht berücksichtigt wird (siehe auch angepasste Detaildarstellung in [Schöfmann 2020].

Für die „Verflüssigung“ der Szenarien wird vereinfachend die Erträge der erneuerbaren Energieträger und der Bedarf an elektrischer 2015 bis 2019 laut [ENTSOE 2019, ElectricityMap] herangezogen und auf das gewählte Szenario normiert. Der Anteil der elektrischen Energie, der in die Wasserstoffherstellung und in Folge in die Methanisierung geht, wird im Sommerhalbjahr aufgebracht. Für 5 Jahre mit realen Klimabedingungen liegen damit alle erforderlichen Daten bezüglich nationaler Erzeugung von elektrischer Energie zu 100% erneuerbar und deren Nutzung einerseits und die für Gebäude- und Quartierssimulation erforderlichen Kennwerte dynamisch vor.
In Abbildung 2a-d werden für die 2 Szenarien die Monatssummen über 4 Jahre dargestellt, zudem 2 typische Perioden für Szenario A im Detail dargestellt.

Wenig überraschend ist das Winterhalbjahr, bzw. vor allem der Kernwinter für eine erneuerbare Energieversorgung besonders kritisch, da Wasser- und Solarkraft in dieser Zeit bei weitem nicht durch die leicht höhere Windkraft kompensiert werden kann. Der Bedarf ist im Winterhalbjahr nur geringfügig höher als im Sommer (Abbildung 2a). In der monatlichen Bilanz wird deutlich, dass es unter nahezu allen klimatischen Bedingungen über einige Monate einen negativen Saldo gibt, d.h. auch wenn monatliche Speicher zur Verfügung stehen, müsste ein Teil der elektrischen Energie aus dem sommerlichen Überschuss über Methanisierung bereitgestellt werden (Abb. 2b). Eine Detailbetrachtung zeigt aber auch die starken täglichen und stündlichen Schwankungen (Abb. 2c und 2d). Setzt man die elektrische Energieversorgung aus einer Studie der APG bei Bedärfen aus Szenario A zugrunde [Brainpool 2019], reduzieren sich durch die erhöhten Windkrafterträge die negativen monatlichen Saldi auf wenige Monate.

Netzdienlichkeit

Trotz der vielen Annahmen stellen die dynamischen Szenarien die erneuerbare Dynamik relativ gut dar, die Abfederung durch die alpinen Wasserspeicher ist hier noch nicht berücksichtigt. Für die Darstellung von Netzdienlichkeit und den Wirkungen auf den thermischen Komfort wird auf die Periode von 1.9.2016 bis 31.8.2017 Bezug genommen, da die sehr niedrigen Außenlufttemperaturen im Februar 2017 für die Beheizung von Gebäuden besonders kritisch ist.
Für die Operationalisierung der Netzdienlichkeit wird das Potential eines Gebäudes/bzw. der Nutzung des Gebäudes bezeichnet, sich möglichst dem Angebot an stark schwankenden erneuerbaren Energieerträgen anzupassen, und dies vor allem in denjenigen Perioden, in denen gleichzeitig die Nachfrage nach elektrischer Energie gering ist. In einem bilanziell erneuerbaren zukünftigen Energiesystem treten verhältnismäßig häufig Perioden von „Stromüberschüssen“ auf, diese treten gehäuft im Sommer um die Mittagszeit an sonnigen Tagen auf und im Winter, wenn großflächig eine hohe Windstärke vorhanden sind. Umgekehrt gibt es Perioden eines starken Überhangs an Energienachfrage gegenüber dem aktuellen erneuerbaren Angebot, diese werden als „Stromunterschüsse“ bezeichnet.

Für die energetische Bewertung von Netzdienlichkeit werden die beiden folgenden Konzepte herangezogen:

  • Ausgangspunkt ist die Definition des Grid Support Coefficient (GSC) in [Klein et al 2016]. Dieser wird auf den erneuerbaren Saldo 2050 und den Anteil an erneuerbaren volatilen Ressourcen angewandt und für alle Energiedienstleistungen angewandt. Mit diesem Verfahren wird ein Mindestaufwand ähnlich einer idealen Energiedienstleistung aufgewendet. Die jeweiligen Zeitintervalle, bis zu der die Energiedienstleistung jedenfalls erfüllt werden muss, werden aus den Gebäudeeigenschaften, bzw. je nach Nutzerelastizität ermittelt. Bezeichnung Netzdienlichkeit_MinEnergie
  • Es werden Zeitpunkte mit einem erneuerbaren Saldo 2050 größer 0 für die Deckung der Energiedienstleistungen herangezogen, wobei bei Freigabesignal möglichst die maximal definierten Sollwerte erreichen werden sollen. Bezeichnung Netzdienlichkeit_MaxEnergie

Komfort und Netzdienlichkeit

Nachfolgend ein Beispiel für die Beheizung einer kleinen 2 Zimmerwohnung mit 48 m² Wohnnutzfläche, bzw. 60m² BGF (5m*12m*3m brutto). Für die Darstellung wird diese Wohnung als Bungalow in Passivhausstandard und Stahlbeton-Bauweise angenommen.

Für die Konditionierung werden die folgenden Varianten angesetzt:
In der Ausgangsvariante wird die Wohnung auf 22°C im Winter geheizt (Okt bis April), im Sommer auf 25°C gekühlt (Raumlufttemperatur). Zusätzlich werden auch suffiziente Varianten dargestellt. Darauf aufbauend werden 4 Netzdienlichkeitsvarianten laut Netzdienlichkeit_MinEnergie  für Betrachtungszeiträume von 24 h, 1, 2 und 4 Wochen erstellt, dass möglichst an den bezüglich EE-Saldo aus Szenario A bestmöglichen Zeitpunkt im jeweiligen Betrachtungszeitraum die Räume geheizt oder gekühlt werden.
Alternativ werden wird für die Netzdienlichkeit Modell Netzdienlichkeit_MaxEnergie immer dann auf die festgelegte Maximaltemperatur im Winter geheizt, bzw. Minimaltemperatur im Sommer gekühlt, wenn der EE_Saldo positiv ist. Außerhalb dieser Zeiträume gibt es keine aktive Konditionierung.

Abbildung 3 zeigt einige Varianten über das gesamte Jahr, PE-Saldo und Heiz- und Kühlleistung der 4 Wochen-Netzdienlichkeitsvariante sind ebenfalls dargestellt.

Es zeigt sich für die Netzdienlichkeitsvariante 4 Wochen, dass in den kalten und gleichzeitig windarmen Zeiträumen die Raumlufttemperaturen auf bis 20°C absinken, in windreichen und sonnigen Perioden steigen sie bis auf 26°C.

Die Abbildungen 4a + b zeigen die Ergebnisse zusammengefasst für Heizwärme- und Kühlbedarf für das Gesamtjahr am gewählten Beispielgebäude.

Gesamtjahr am gewählten Beispielgebäude.

  • Durch die netzflexible Regelung kann der Heizwärmebedarf zu Zeiten mit negativen Saldo deutlich reduziert werden, allerdings sind weiterhin relativ hohe Anteile zu Zeiten mit negativen Saldi erforderlich  
  • Der negative Saldo in der netzdienlichen Variante mit 4 Wochen und einer durchschnittlichen Raumlufttemperatur von 22° C in der Heizsaison ist einer „Suffizienzvariante“ mit durchgehend mindestens 20° C im Winter diesbezüglich gleichwertig
  • Gewichtung wichtig, linear auf Min/max in Heizsaison, bzw. Kühlsaison

Abbildung 5a zeigt die Abweichungen der Raumtemperatur der unterschiedlichen netzdienlichen und „Suffizienz“-Varianten im Vergleich zur Ausgangsvariante.

Insgesamt ist für die Abbildung der Netzdienlichkeit ein kombiniertes Verfahren sinnvoll, wenn Perioden von empfundenen Temperaturen unter 20° C vermieden werden sollen bei möglichst hohem Anteil von Strom in „Überschussperioden“.

Abbildung 5b zeigt die wesentlichen Ergebnisse auf den thermischen Komfort in Histogrammen über das Winterhalbjahr.

Detailergebnisse für unterschiedliche Bauweisen und Abgabesysteme unter Extrembedingungen

Um das charakteristische Verhalten von Wärmeimpulsen auf typische Gebäude, bzw. Räume systematisch abzubilden, wurden die Standardräume Süd und Nord der Wohnung von einer Raumlufttemperatur von 21° C auf 25° C aufgeheizt, nach einiger Zeit wird die Heizung ausgeschalten bis wieder 21° C erreicht waren. Dabei wurden die folgenden Parameter miteinander verglichen:
     3     Bauweisen schwer, mittel und leicht
     3     Baustandards Bestand, NEH und Passiv
     5     spezifische Heizleistungen
     3     unterschiedliche Wärmeabgabesysteme (Betonkernaktivierung, Fußbodenheizung und Luftheizung)

Lage der Wohnungen: Mitte, EG Mitte, Dach Mitte, West, Ecke West/Dach, Ecke, Bungalow
Die wesentlichen Parameter der Varianten Bauweise, Baustandard und Lage Wohnungen sind in Abbildung 6 dargestellt.
 
Für das betrachtete Temperaturband zwischen 21 und 25°C kann durch Anpassung der Bekleidung relativ einfach ein sehr guter thermischer Komfort hergestellt werden.
Für den dynamischen Komfort ist vor allem die Änderungsgeschwindigkeit relevant, die laut Ashrae 55 unter 3,3 K/4h liegen muss (Abbildung 8).   
 
Bei Verwendung von Bauteilaktivierungssystemen könnte auch die Strahlungsasymmetrie den Komfort einschränken, Abbildung 9 zeigt die Ergebnisse gemäß EN ISO 7730.
Insgesamt sind fast alle untersuchten baulichen und geometrischen Varianten auch bei verhältnismäßig extremen Bedingungen bezüglich dynamischen Komfort unproblematisch.
Ähnliches gilt für die Strahlungsasymmetrie, die vor allem mit Bauteilaktivierungssystemen und ungünstigen Hüllqualitäten relevant werden.

Schlussfolgerung

In einer detaillierten Analyse zu energetisch sinnvollen netzdienlichen Konzepten wird deutlich, dass
netzdienliche Varianten den Anteil Erneuerbaren Peak Shaving deutlich erhöhen und den Energiebedarf in Zeiten geringen erneuerbarer Energieerzeugung deutlich absenken kann.
der Einfluss auf den Komfort in den energieflexiblen Varianten sehr hoch wird, aber in den meisten Fällen durch Anpassung der Bekleidung abgefangen werden kann
lokaler Diskomfort durch Strahlungsasymmetrie bei guter Hüllqualität für alle Bauweisen und Geometrien nicht relevant ist
der Komfort durch die maximale Änderungsgeschwindigkeit auch bei deutlich erhöhten Heizleistungen nicht eingeschränkt wird
Dies bedeutet, dass durch die Einbindung von Gebäuden und effizienter Wärme/Kälteversorgung über hocheffiziente Wärmpumpen auch bei starker Ausnutzung des Flexibilitätspotentials  der thermische Komfort nicht, oder nur in geringen Zeitperioden eingeschränkt wird.

Quellenangaben

ASHRAE Standard 55-2004 – Thermal Environment Conditions for Human Occupancy, 2004.
Hausladen, G., Auer, T., Schneegans, J., Klimke, K., Riemer, H., Trojer, B., Qian, L., & de Borja Torrejon, M. (2014). Lastverhalten von Gebäuden unter Berücksichtigung unterschiedlicher Bauweisen und   technischer Systeme. Speicher-und Lastmanagementpotenziale in Gebäuden [Endbericht]. Technische Universität München, Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen.
UBA, 2017, Energie- und Treibhausgas-Szenarien im Hinblick auf 2030 und 2050.
UBA, 2016, Szenario erneuerbare Energie 2030 und 2050. Umweltbundesamt
Veigl, A., 2017, ENERGIE- UND KLIMAZUKUNFT ÖSTERREICH Szenario für 2030 und 2050. Vienna, WWF

Forschungszeitraum

März 2021 –

Kontakt

Abbildung 1a: Szenarien Energiebereitstellung für Österreich 100% erneuerbar. In den Studien wurde als Zeithorizont 2050 angenommen, laut aktuellem Regierungsprogramm soll dieses Ziel bereits 2040 erreicht werden.
Abbildung 1b: Szenarien Energiebedarf für Österreich 100% erneuerbar. In den Studien wurde als Zeithorizont 2050 angenommen, laut aktuellem Regierungsprogramm soll dieses Ziel bereits 2040 erreicht werden.
Abbildung 2a: Bedarf und Energieaufbringung Szenario A Österreich erneuerbar
Abbildung 2b: Bilanz Szenario A Österreich erneuerbar
Abbildung 2c: Detail Bedarf, Energieaufbringung und Saldo Szenario A Österreich erneuerbar, Klimadaten Anfang 2015
Abbildung 2d: Detail Bedarf, Energieaufbringung und Saldo Szenario A Österreich erneuerbar, Klimadaten Februar 2015
Abbildung 2e: Bilanz Szenario B Österreich erneuerbar
Abbildung 3: Darstellung der Raumlufttemperaturen der unterschiedlichen Varianten
Abbildung 4a: Heizwärmebedarf dargestellt je nach Freigabesignal Saldo Bilanz 2050
Abbildung 4b: Kühlbedarf dargestellt je nach Freigabesignal Saldo Bilanz 2050
Abbildung 5a: Empfundene Temperaturen unterschiedlicher Varianten
Abbildung 5b: Histogramme der Empfundenen Temperaturen der unterschiedlichen Varianten
Abbildung 6: Gebäudezeitkonstante der unterschiedlichen Varianten
Abbildung 7: Ladedauer in Abhängigkeit der Leistung: BTA Bauteilaktivierung, ideal ist eine ideale Luftheizung.
Abbildung 8: Maximale Änderung der operativen Temperatur Fall Heizen, Darstellung einiger Varianten in Abhängigkeit von der Heizleistung
Abbildung 9: Darstellung Strahlungsasymmetrie, Darstellung einiger Varianten in Abhängigkeit von der Heizleistung