Zum Seiteninhalt springen

Kreislauffähigkeit neu gedacht: der BNB Zirkularitätsindikator

Im Auftrag des deutschen Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) entwickelte das IBO eine völlig neue Systematik zur Bewertung der Zirkularität von Gebäuden, Konstruktionen und Baustoffen. Sie berücksichtigt neben der Rückbaubarkeit auch die Störstoffanfälligkeit von nicht oder nur schwer trennbaren Materialverbünden und damit indirekt Einbußen bei Rezyklatqualität, dissipative Materialverluste oder erhöhte Aufwände der Aufbereitung.

ForschungKreislauffähigkeit

End-of-Life-Kategorien von Baustoffen

In den Vorgängerprojekten „Figl, et al, Gebäudebezogene Stoffströme, 2018“ und „Sekundärbaustoff-Kreisläufe im BNB, 2020” wurde ein umfassendes Dateninventar zu Verwertungswegen von Baustoffen über umfassende Marktstudien erarbeitet. Auf Gebäudeebene spielen aber neben der Materialeinstufung die konkrete Einbausituation, Zugänglichkeit und Lösbarkeit der Verbindungen eine wesentliche Rolle für einen effizienten und wirtschaftlichen Rückbau. Häufig liegt aber ein komplexer Materialverbund vor, der erst in nachgelagerten Aufbereitungsschritten getrennt werden kann. Diese Aufwände sowie die Trennung von Stör- und Schadstoffen, die das Recycling erschweren oder die Rezyklatqualität abmindern, werden durch Abschläge in der Klassifizierung berücksichtigt. Ein Gefahrenstoffklassifizierungssystem, das im Rahmen des Forschungsprojekts BIMstocks erarbeitet wurde, ergänzt die Beurteilung von belasteten Baustoffen des Gebäudebestands.

Die End-of-Life Bewertung orientiert sich in erster Linie am Recyclingpotenzial des günstigstenfalls sortenrein rückbaubaren und schadstofffreien Materials. Wirtschaftlich umsetzbare Aufbereitungstechniken und potenzielle Einsatzmöglichkeiten als Sekundärstoffe oder Sekundärrohstoffe fließen direkt in die Material-Klassifizierung ein, die einem 10-teiligen Bewertungsschema von A+++ (ReUse-fähig) bis G (ungünstigste Gefahrenstoffklasse) folgt.

Die Klasse A+++ „Wiederverwendung“ setzt einen zerstörungsfreien oder zumindest weitgehend zerstörungsfreien Rückbau voraus (siehe auch Einstufung Rückbaufähigkeit, Abbildung 2). Gleichzeitig müssen die ReUse-Bauelemente oder ReUse-Bauprodukte für den Wiedereinsatz geeignet sein, d.h. technische Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit für den neuen Einsatzzweck erfüllen und eine bestimmte Marktnachfrage bedienen. Geringe Ausbau-, Transport- und Lagerkosten bzw. zeitnahe Einbaumöglichkeiten bei Neu- oder Umbauten erleichtern dabei die Wiederverwendung.

Die grünen Klassen A++, A+ und A beschreiben Recyclingszenarien von Closed Loop Recycling bis hin zu Recycling mit erhöhten Aufbereitungs-Aufwänden bzw. potenziell Recycling-fähiger Biomasse, die aber aus primär wirtschaftlichen Gründen zur Zeit überwiegend (noch) thermisch verwertet wird. Technologie-Verfügbarkeit, deren Marktreife und Marktdurchdringung bestimmen wesentlich, ob und in welchem Ausmaß Recycling-Szenarien zum Tragen kommen.

Die Klassen B bis D beschreiben sonstige Verwertungs- oder Beseitigungswege.

Die Klassen E bis G charakterisieren zusätzlich gefahrenstoff-kontaminierte Materialien, die einer besonderen Behandlung bedürfen. Die entsprechende Gefahrenstoffklassifizierung wurde im Rahmen des Forschungsprojekts BIMstocks erarbeitet, das sich rein mit Bestandsbauten unterschiedlicher Baualtersklassen beschäftigte.
Das zugehörige Punktesystem ist prinzipiell zwischen +100 (Closed Loop Recycling) und -100 Punkten (Default-Gefahrenstoffklasse F) aufgespannt, wobei es Überpunktungen sowohl in die positive Richtung (im Falle von Eignung zur Wiederverwendung, +140 Punkte gesamt) als auch in die negative Richtung (Gefahrenstoffklasse G, -140 Punkte gesamt) gibt.
Voreingestuft wird zunächst das sortenreine, unverbaute Material, das aber im eingebauten Zustand in einer Baukonstruktion durch nicht oder nur schwer trennbare Schichten wesentlich in seinen Verwertungseigenschaften gestört sein kann. Dazu muss zunächst die Rückbaufähigkeit der Materialien und ihre Störstoffanfälligkeit im konkreten Materialverbund beurteilt werden. Dies geschieht über die Indikatoren „Rückbaufreundliche Bauweise“ und „Materialverträglichkeit“ von Stoff-Kombinationen.

BNB Hauptindikator „Rückbaufreundliche Bauweise“

Die Rückbaufähigkeit von Materialien auf der Baustelle wird, wie in Abbildung 2 ersichtlich, in 4 Klassen eingestuft.
Nur für die Klassen A++ (zerstörungsfrei rückbaubar), A+ (weitgehend zerstörungsfrei rückbaubar) und A (Form oder Materialstruktur zerstörend, aber sortenrein rückbaubar) werden abgestuft Bonuspunkte (100, 75 und 50 Punkte) vergeben. Nicht sortenrein rückbaubare Materialien (in der Rückbau-Kategorie B-D) sind mit Störstoffen verunreinigt und bedürfen weiterer Aufbereitungsschritte für die Verwertung. Die Auswirkungen der Stör- oder Fremdstoffgehalte können auf den End-of-Life-Weg des Hauptstoffes unterschiedlich gravierend sein und werden in 4 Störstoffkategorien klassifiziert (siehe Abbildung 3). Ist eine Trennung der Störstoffe technisch und wirtschaftlich möglich, werden die Aufwände für die Trennung entsprechend der Punkteabstufungen der End-of-Life Klassen von Verwertungs- oder Beseitigungswegen mit erhöhten Aufwänden (siehe auch Abbildung 1) durch entsprechende Punkteabzüge von der Grundeinstufung des sortenreinen Materials abgebildet.

BNB Teilindikator Materialverträglichkeit / Störstoffe

Je nach Charakterisierung der Störstoffe (kein Fremd-, Stör oder Schadstoff vorhanden – Kategorie S1) bis hin zu unverträglichen Störstoffen (Kategorie S4), die Verwertungen wirtschaftlich verunmöglichen, kommt es zu geringeren oder höheren Abzügen in der End-of-Life-Bewertung der Hauptstoffe. Eingebaute Verbundwerkstoffe (Kompositmaterialien) werden bereits vorab abgestuft. Gleichzeitig erlaubt diese Methode auch eine Erfassung von Materialverlusten durch Stör- und Schadstoffe, die gemeinsam mit dem Hauptstoff verwertet werden.

BNB Hauptindikator Kreislauffähigkeit auf Gebäudeebene

Der Indikator Kreislauffähigkeit kann für Baukonstruktionen, für Teilebenen von Baukonstruktionen (z.B. Außen- oder Innenbekleidungen) oder für Gebäude ausgewertet werden und erlaubt eine Darstellung der finalen End-of-Life-Wege unter Berücksichtigung der durch Materialverbünde anfallenden Stör- und Schadstoffe sowie ihrer Auswirkungen auf Aufbereitungsaufwände und Verschlechterungen von Rezyklatqualitäten.

Für eine sensitivere Auswertung der verbauten Mengen auch in Hinblick auf Dämmstoffe, Kunststoffe oder biogene Baumaterialien wird zusätzlich zu einer massenaggregierten Bewertung eine volumsgewichtete Auswertung empfohlen. Bei Bestandsbauten mit verbauten gefahrenrelevanten Stoffen ist dies umso wichtiger, als Dämmstoffe mit gefahrenrelevanten Eigenschaften in einer massenbezogenen Auswertung aufgrund der in der Regel sehr geringen Rohdichten mit ihrem Anteil an der Gesamtmasse des Baukörpers kaum ins Gewicht fallen (siehe 1,7 Massen-%), bei Volumsbetrachtungen, die letztlich auch die erforderlichen Transportkapazitäten von der Baustelle und Muldenvolumina bestimmen, sehr wohl (21,7 Volums-%).

Beispiel BNB Indikator Rückbaufreundliche Bauweise:

Vergleich Innendecken

Stahlbeton-Decke mit abgehängter Akustikdecke und Hohlraumboden (Annahme: Rückbau Stahlbeton mit Betonscheren und sortenreine Trennung in mobilen Brechanlagen vor Ort)
Stahlbeton-Decke mit Gipsputz, zementgebundene EPS-Ausgleichsschüttung und Heiz-Fließestrich (Abb. 6).

BNB Fortentwicklung und Evaluierung des BNB- Kriteriensteckbriefes 4.1.4

Projektleitung: IBO – Österreichisches Institut für Bauen und Ökologie GmbH
Ansprechpartner IBO: Mag. Hildegund Figl, Mag. Maria Fellner
Projektpartner TU München: (Dr. Patricia Schneider-Marin),
                       Hochschule Ansbach (Prof. Dr. Isabell Nemeth)

Literatur       

Figl, H., Fellner, M., Nemeth, I., Schneider-Marin, P., 2020. Fortentwicklung und Evaluierung des BNB-Kriteriensteckbriefes 4.1.4 Rückbau, Trennung, Verwertung, Forschungsprojekt im Rahmen von Zukunft Bau, im Auftrag des BBSR Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung - Deutschland, SWD 10.08.17.7-20.36, Endbericht, 2022

Nemeth, I., Schneider-Marin, P., Figl, H., Fellner, M., Asam, C., 2022. Circularity evaluation as guidance for building design, IOP Conference Series: Earth and Environmental Science, 1078 (2022) 012082

Honic, M., et al, 2023. BIMstocks : Digital Urban Mining Platform: Assessing the material composition of building stocks through coupling of BIM to GIS, Forschungsprojekt im Rahmen der Programmlinie Stadt der Zukunft im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Wien, 2023

Figl, H., et al, 2020. Sekundärbaustoff-Kreisläufe im BNB als Beitrag zum ressourceneffizienten Bauen, Projekt im Rahmen von Zukunft Bau, im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) -Deutschland, SWD 10.08.17.7–18.18, Endbericht, 2020

Figl, H., Dolezal, F., Thurner, C., 2018. Untersuchung von gebäudegebundenen Stoffströmen in der Entsorgungsphase, Projekt im Rahmen von Zukunft Bau, im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Deutschland, SWD 10.08.17.7–16.39, Endbericht, 2018

 

Forschungszeitraum

Juni 2023 –

Kontakt

Abb. 1: End-of-Life Kategorien (A+++ bis D) nach BNB Systematik für Neubau-Materialien, inklusive Gefahrenstoffenklassen I bis III (E-G) nach BIMstocks
Abb. 2: Kategorien Rückbaufreundliche Bauweise (Quelle: BNB Systematik, Fortentwicklung Kriteriensteckbrief 4.1.4, 2022)
Abb. 3: Störstoffkategorien und Auswirkungen auf die End-of-Life-Bewertung des gestörten Materials (aufbauend auf BNB Systematik, Fortentwicklung Kriteriensteckbrief 4.1.4, 2022)
Abb. 4: End-of-Life Klassen, volumsbezogene Auswertung Use Case 7 (Quelle: BIMstocks, 2023)
Abb. 5: End-of-Life-Klassen, massenbezogene Auswertung Use Case 7 (Quelle: BIMstocks, 2023)
Abb. 6: Vergleich der Rückbaubarkeit von Innendecken